Maria Magdalena, um 1670

Eine ausdrucksstarke Frau mit kantigem Gesicht, breitem Oberkörper und großen Händen steht vor mir. Sie hat den Kopf zur Seite gedreht, die tiefliegenden Augen blicken nach unten, der Mund ist leicht geöffnet.

Gedanken für den Tag 5.10.2017 zum Nachhören:

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Die langen Haare fallen in Wellen herab, sie berühren den diagonal über die Brust verlaufenden goldenen Umhang. Unübersehbar ins Auge sticht der Totenkopf in den Händen der Frau.

Diese Holzskulptur, eine Darstellung der heiligen Maria Magdalena, gehört zu meinen Lieblingsstücken aus den Sammlungen des Dom Museum Wien. Selten habe ich eine Skulptur gesehen, die so viel Schönheit und so viel Schmerz, so viel Zartheit und so viel Härte in sich vereint. Mich interessiert diese Skulptur auch aus kunsthistorischer Sicht. Denn sie bildet eine Brücke zwischen der Florentiner Frührenaissance eines Donatello und dem Jugendstil, erinnert bereits an die Frauenfiguren von Egon Schiele und Gustav Klimt.

Johanna Schwanberg
ist Leiterin des Dom Museum Wien

Erste Zeugin der Auferstehung

Biblischen Schilderungen zufolge gehört Maria Magdalena zu den Frauen, die Jesus folgten. Sie war bei seiner Kreuzigung und bei seiner Grablegung zugegen und sie war erste Zeugin des auferstandenen Jesus. Der Überlieferung nach verbrachte sie ihre letzten Lebensjahre als Einsiedlerin in einer Höhle. Spätere Epochen sahen in ihr noch andere biblische Gestalten, vor allem die reuige Sünderin oder Maria, die Schwester der Martha.

Mir gefällt an dieser Skulptur aus dem 17. Jahrhundert, dass sie sich in keine geschlechtsspezifische Rolle stecken lässt, gleichermaßen männliche wie weibliche Anteile in sich vereint. Auch war mir die Gestalt der Heiligen Maria Magdalena immer besonders sympathisch. Bereits zu Studienzeiten hatte ich ein Faible für Kunstwerke, die diese Heilige darstellen. Die Figur der reuigen Sünderin, die unterschiedliche Facetten des Menschseins in sich vereint – gleichermaßen sinnlich wie vergeistigt erscheint – ist natürlich spannend. Und sie bietet sich für Frauen mehr zur Identifikation an als so manch andere makellose Heilige.

Musik:

„Between the shadows“ von Loreena McKennitt
Label: WEA 9031751512