Bibelessay zu Matthäus 22, 1 – 14

Jesus ist bereits in Jerusalem, nur noch eine kleine Gruppe begleitet ihn, die Auseinandersetzungen Jesu mit den religiös Mächtigen spitzen sich zu, die Positionen sind unversöhnlich: Es geht darum, ob Jesus das Recht hat, von Gott zu erzählen, und ob das, was er erzählt, richtig ist.

Es geht darum, ob Religion bedeutet, dass Menschen bestimmte Weisungen und Gebote einhalten, oder dass sie sich einander zuwenden und einander stärken. Deshalb ist immer wieder von einer Hochzeit, von einem großen Freudenfest die Rede, wenn Jesus vom „Reich Gottes“ spricht, oder vom „Himmelreich“, wie es im Matthäusevangelium heißt, weil Matthäus Jude war und den Namen Gottes nicht ausspricht.

Helga Kohler-Spiegel
ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, FB Human- und Bildungswissenschaften, Psychotherapeutin, psychoanalytikerin und (Lehr-)Supervisorin

Was im Leben wichtig ist

Drei Gleichnisse in Folge erzählen vom Schicksal Jesu und vom Schicksal der Jünger, die Ablehnung steigert sich und führt bis zu Folter und zur Ermordung. Dieser Text ist das letzte dieser drei Gleichnisse, es ist eine dramatische Erzählung. Sie wurde vermutlich ca. 50 Jahre nach der Ermordung Jesu in der Gemeinde des Matthäus erzählt und aufgeschrieben, Jerusalem und der Tempel sind durch den römischen Kaiser Titus zerstört. Dieses Gleichnis warnt die damaligen Christen, dass die frohe Botschaft auch einer neuen Zielgruppe gelten kann, nämlich denen, die bisher keine Rolle gespielt haben, den Ausgegrenzten und „Sündigen“, wie sie auch genannt wurden. Zugleich macht die Erzählung klar, dass auch die sogenannten „Armen“ aufgerufen sind, der Botschaft Jesu zu folgen. Denn – egal ob Mann oder Frau, sozial angesehen oder nicht, viel oder wenig beschäftigt – letztlich geht es darum: Wer die Botschaft Jesu hört und danach lebt, der gehört zur Gemeinschaft mit Jesus.

Lebenskunst
Sonntag, 15.10.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Das Gleichnis Jesu erzählt von schwierigen Erfahrungen, finde ich. Es erzählt davon, dass Gutes tun nicht immer Gutes bewirkt, sondern dass das auch zu Ablehnung und Verfolgung und Ermordung führen kann. Wir wissen um Länder auf dieser Welt, in denen Menschen, auch Christinnen und Christen für ihre Überzeugung versklavt und gefoltert und ermordet werden, es kann sehr unbequem werden, für den Glauben an die Zuwendung und die Liebe Gottes für alle Menschen einzutreten.

Wie immer aber kann ich die Gleichnisse Jesu auch als menschliche Erfahrungen lesen: Es ist manchmal nicht einfach, zur eigenen Meinung, zu den eigenen Überzeugungen zu stehen – im Beruf oder in der Familie, in der Partnerschaft oder im Freundeskreis. Und: Es ist nicht einfach, sich innerlich immer wieder zu öffnen und bereit zu machen für das, was zurzeit im Leben wichtig ist, was das Leben zurzeit von mir fordert. Es ist nicht einfach, sich immer wieder darauf zu fokussieren, was im Leben wesentlich ist. Es ist nicht einfach, bei so vielem, was wichtig scheint, das nicht zu übersehen, was tatsächlich wichtig ist. Ich denke mir: Wenigstens für heute möchte ich nicht übersehen, was zurzeit in meinem Leben wesentlich ist…