Bibelessay zu Offenbarung 7, 2 – 4. 9 – 14

„Ein Stimmungsbild: Die reichen, demokratischen Länder, die großen Wirtschaftsmächte, die G7 oder G8, die ehemaligen Kolonialherren und ehemaligen Industriestandorte sind in ein reaktionäres Zeitalter abgerutscht. (…)

Sie wollen keine Zukunft. Zukunft ist Veränderung und Veränderung ist Verschlechterung, bedeutet millionenfache Migration, Klimawandel. Kollabierende Sozialsysteme, explodierende Kosten, Bomben in Nachtclubs, Umweltgifte, ausbleichende Korallenriffe, massenhaftes Artensterben, versagende Antibiotika, Überbevölkerung, Islamisierung, Bürgerkrieg.“ – So beschreibt der Historiker und Publizist Philipp Blom in seinem jüngsten Buch mit dem Titel „Was auf dem Spiel steht“ (Hanser Literaturverlage) die aktuelle Situation in Europa. Die Gegenwart soll möglichst lange ausgedehnt werden, denn es droht eine apokalyptische Zukunft.

Regina Polak
ist Philosophin und Theologin an der katholischen Fakultät der Universität Wien

Hoffnung auf Rettung

Apokalyptische Ängste kannten auch die Verfasser der Offenbarung des Johannes, aus der zum heutigen Allerheiligenfest in der römisch-katholischen Kirche ein Text als erste Lesung zu hören ist. Dieses Buch des Neuen Testaments sollte den Christinnen und Christen, die im Römischen Reich verfolgt wurden, Trost und Hoffnung geben. Inmitten einer Fülle von verschlüsselt dargestellten Katastrophen der Weltgeschichte wird die Vision einer „großen Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“, die „niemand zählen kann“ gemalt, die „vor dem Thron Gottes und dem Lamm“ stehen und Gott preisen. Die Johannesoffenbarung ist ein Hoffnungsbuch, das den Gläubigen der damaligen Zeit verspricht, dass die Welt und ihre Geschichte nicht so dramatisch und schlecht sind, wie es scheinen mag und die Katastrophen nicht das letzte Wort haben werden. Denn – so der Glaube der Christinnen und Christen - mit dem Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi ist das Leben, das Gott für die Menschen bereitet hat, allen Menschen in all ihrer ethnischen, nationalen, sprachlichen Vielfalt zugänglich.

Lebenskunst
Mittwoch, 1.11.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Apokalyptische Ängste und das Leben in schwierigen, mitunter sogar katastrophischen Verhältnissen bilden für viele der Texte des Alten und Neuen Testaments den historischen Hintergrund. Apokalyptische Erzählungen gab es daher auch in biblischen Zeiten zuhauf. Im Europa von Wohlstand und Sicherheit haben das viele vergessen, wenn sie die Bibel lesen. Der biblische Glaube ist wesentlich in schwierigen Situationen gewachsen. Bemerkenswert ist, dass die Kirche nur zwei solcher apokalyptischer Bücher in ihren verbindlichen Kanon aufgenommen hat: Das Buch Daniel im Alten Testament sowie die Johannesoffenbarung. Beiden Büchern ist gemeinsam, dass die Mühen, Leiden und Ängste der Gegenwart nicht verschwiegen werden. Aber sie werden weder lustvoll beschworen, aggressiv bekämpft noch ergibt man sich ihnen resignativ: Sie werden vielmehr mithilfe der Hoffnung auf Gottes Rettung gezähmt. Hoffnung bedeutet dabei nicht, dass die Gegenwart und ihre Krisen beschönigt werden.

Beitrag zur globalen Krise

Die junge christliche Gemeinde der Johannesoffenbarung kennt Märtyrer und Menschen in großer „Bedrängnis“, wie die heutige Schriftstelle beschreibt. Hoffnung bedeutet, in solchen Zeichen der Bedrängnis die Orientierung an Gott nicht zu verlieren und auf dem Weg der Nachfolge Christi zu bleiben: Hoffnung ist also eine eminent praktische Frage. So wird in der römisch-katholischen Kirche heute dann auch das Evangelium von den Seligpreisungen gelesen, die jenen, die fähig sind zu trauern angesichts des Leides der Welt; die sich für Gerechtigkeit engagieren oder um ihretwillen verfolgt werden, die barmherzig und mit reinem Herzen leben und Frieden stiften, die Nähe Gottes versprochen – und sogar die Möglichkeit, Gott selbst zu schauen. Hoffnung ist demnach zwar keine einfache, aber eine verheißungsvolle Praxis.

Indem die Kirche zum heutigen Feiertag diese Texte gewählt hat, beschreibt sie Allerheiligen als Fest der Hoffnung. Solche Hoffnung brauchen wir heute mehr denn je. Christinnen und Christen können sie stärken, indem sie in Wort und Tat daran erinnern, dass auch in biblischen Zeiten apokalyptischen Ängsten nicht das letzte Wort gegeben wurde. Europa muss sich nicht von Ängsten lähmen lassen, kann sich seines materiellen und geistigen Reichtums bewusst werden und sich selbstbewusst dafür einsetzen, Lösungen für die Ursachen all dieser Ängste zu entwickeln. Darin kann heute der Beitrag von Christinnen und Christen zur globalen Krise bestehen.