Gegen eine Wirtschaft, die tötet

Zum 350. Geburtstag von Jonathan Swift: Satire will etwas erreichen. Sie will überreden, überzeugen. Sie will individuelle oder soziale Veränderung. Sie tut absichtlich weh. Sie spitzt zu, sie überzeichnet - und kann leicht missverstanden werden.

Gedanken für den Tag 29.11.2017 zum Nachhören:

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Auch Jonathan Swift, Autor von „Gullivers Reisen“, verließ in seinen Satiren ständig das politisch Korrekte, selbst wenn das damals noch kein Kampfbegriff und auch kein Schimpfwort war. Er störte den guten Geschmack, er ließ kaum ein Tabu aus, er provozierte.

1689 war Swift vor den Unruhen des Bürgerkriegs in Irland nach England geflohen, als Sekretär des Diplomaten Sir William Temple hatte er die Politik kennengelernt und sich in England wohl eine Karriere in der anglikanischen Kirche erhofft. Königin Anne aber versetzte ihn als Dekan an die St. Patrick Kathedrale nach Dublin. Swift mochte Irland nicht, er setzte sich aber dennoch für die Iren ein, vor allem gegen die wirtschaftliche Unterdrückung durch England, gegen Armut und Hunger und für mehr Bildung.

Brigitte Schwens-Harrant
ist Germanistin und Theologin

Den Markt beim Wort genommen

Seine ebenso berühmte wie grausame Satire „Ein bescheidener Vorschlag im Sinne von Nationalökonomen, wie Kinder armer Leute zum Wohle des Staates am Besten benutzt werden können“ von 1729 muss man in diesem Kontext sehen. Swift macht hier kurz zusammengefasst - ich erspare die Details - den Vorschlag, irische Kinder zu mästen und deren Fleisch zu verkaufen. Abstoßend sei das, so reagierte ein Freund entsetzt, dem ich davon erzählte. Und das ist es auch. Ganz grauenhaft.

Sieht man sich aber den Anlass und die Entstehungszeit ein, was hat Swift hier getan? Er hat eine tatsächliche Situation – die himmelschreiende Armut in Irland – aufgegriffen und das Denken der Nationalökonomen – nämlich Menschen als Rohstoff und Ressource zu behandeln, das Wissen um den funktionierenden Fleischexport, das Prinzip der Nutzenmaximierung – auf unheimliche Weise zugespitzt. Er nimmt den Markt beim Wort.

Wie so oft bildet den eigentlichen Skandal hier nicht die Satire. Der Skandal ist das Faktum, dass eine Gesellschaft ihre Kinder verhungern lässt. Der Skandal ist eine Wirtschaft, die tötet, um es ganz deutlich und sogar mit Papst Franziskus zu sagen.

Musik:

Pogues: „THOUSANDS ARE SAILING“ von Chevron
Label: PM 175405