Das Tote Meer

Ich sitze auf einem Stein am Ufer. Allein, noch vor Sonnenaufgang. Vor mir seltsam bleigraues Wasser, wie zwischen Traum und Tag. Und Stille, die den eigenen Atem hörbar macht. Kein Baum, kein Tier. Wenn leichter Wind aufkommt, zieht ein schwefeliger Geruch an mir vorbei.

Gedanken für den Tag 15.12.2017 zum Nachhören:

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Kaum zu glauben, was sich hier abspielt, ein paar Stunden später: lautes Lachen und Lärmen von Badenden, die einander mit asphaltschwarzem Schlamm beschmieren. Erwachsene, nicht Kinder. Äußerst lebendig kann es sein – das Tote Meer!

Josef Schultes
ist katholischer Bibelwissenschaftler

Totes Meer, arabisch Bahr al-Mayit; auch Bahr Lut genannt, Meer des Lot. Hier ist Endstation für den Jordan. Er hat einen recht wechselvollen Weg hinter sich: von den Quellen am schneebedeckten Berg Hermon in das Wasser-Reservoir des Sees Gennesaret; von dort weiter im Jordangraben, tief eingekerbt, in langen Windungen; um zuletzt in einem abflusslosen Endsee, dem tiefsten der Erde, zu landen. Hier steigt an fast 200 Tagen die Temperatur über 30 Grad. Das Tote Meer hat außer dem Jordan kaum Zuflüsse, es verdunstet immer mehr Wasser als nachfließt; daher trocknet es langsam aus. Seine Oberfläche sinkt pro Jahr etwa um einen Meter, sie liegt inzwischen schon bei fast 430 Metern unter dem Meeresspiegel.

Wo der Jordan sein Ziel erreicht

Der Salz- bzw. Mineralgehalt des Toten Meers ist mit 30% und darüber fast zehn Mal so hoch wie jener des Mittelmeers. Diesen starken Auftrieb am eigenen Leib zu erfahren, das lockt viele Touristen ins Wasser. Meist nur kurz, denn es fühlt sich ölig an, schmeckt unangenehm bitter und brennt furchtbar in den Augen – doch der Spaßfaktor ist hoch!

Wer mit mir auf den „Spuren der Bibel“ unterwegs ist, der hat in der Nähe des Toten Meers schon Madaba und seine berühmte Landkarte gesehen. Oder den Rundblick vom Berg Nebo aus erlebt: über die Palmen von Jericho, die Taufstelle Jesu am Jordan und das spiegelnde Wasser des Toten Meers. Und Gruppen, die gut zu Fuß sind, haben mit mir die nahe Festung Machärus bestiegen. Dort ließ Herodes Antipas „Johannes den Täufer in Ketten legen und hinrichten“, was so nicht in der Bibel steht, jedoch bei Flavius Josephus. Viele fahren auch zu einem Kuraufenthalt ans Tote Meer. Sehr oft wegen Neurodermitis oder Psoriasis, entzündliche bzw. schmerzhaft-juckende Hauterkrankungen. Linderung suchen und finden am Rande der Wüste. An einem heilsamen Meer. Wo der Jordan sein Ziel erreicht.

Musik:

„Jordanian Violin“ von Lars-Luis Linek, bearbeitet von Johannes Matthias Hoffmann
Label: Perfect Pitch PP 016