Bibelessay zu Apostelgeschichte 6, 8 – 10; 7, 54 – 60

Nicht nur damals wurde mit Stephanus ein Christ gemordet. Das Morden hat heute einen beklemmenden neuerlichen Höhepunkt erreicht. Wir hören Nachrichten über Attentate auf Kirchen. Während der Gottesdienste werden friedlich betende Menschen durch Selbstmordattentäter in die Luft gejagt: Kinder, Jugendliche, Mütter, Väter, Alte. Statt Fesseln zu sprengen, sprengen sie Menschen.

Eine Landkarte, in der alle bekannten Übergriffe der letzten Zeit eingetragen sind, zeigt, dass Christinnen und Christen derzeit weltweit verfolgt sind, wie schon lange nicht mehr. Bitter ist, dass die Verfolger heute nicht mehr vorwiegend religions- und kirchenfeindliche atheistische Regime sind. Schon diese haben in der Menschheitsgeschichte eine Blutspur hinterlassen. Heute sind es verblendete Angehörige von Religionsgemeinschaften. Ihnen geht es um ihren Nationalismus, der religiös verfärbt ist. Nicht nur Christen gehören zu ihren Opfern. Muslime werden von Hindus in Indien oder von Buddhisten in Myanmar diskriminiert und gemordet.

Paul M. Zulehner
ist katholischer Theologe und Religionssoziologe

Weltfrieden durch Religionsfrieden

Das Blut all dieser Menschen schreit heute zum Himmel. Unbegreiflich ist, dass sich gerade die Mörder auf diesen Himmel berufen. Die leider so genannten „Gotteskrieger des Islamischen Staates‘“ rühmen sich ihrer Verbrechen. Mit dem wahren Gott, den gläubige Muslime oder Christen verehren, hat der Gott der „Gotteskrieger“ nichts zu tun. Sie üben vielmehr dämonische Gewalt aus. Viele von ihnen agieren ihre frustrierte Männlichkeit aus, manche begehren mit untauglichen Mitteln gegen die kulturelle, wirtschaftliche, politische und militärische Demütigung durch Angehörige der bekriegten Kultur auf. „Gotteskrieger des islamistischen Staates“ erwarten sich, den Qur‘an zu ihren Gunsten viel zu wortwörtlich und ohne Zusammenhang lesend, den direkten Weg ins Paradies, wo sie – ihren Männerfantasien schmeichelnd – „großäugige Huris, wohlverwahrten Perlen zu vergleichen“ (Sure 56,15-23), erwarten: Sie irren sich mit Sicherheit fürchterlich dabei. Wenn Elisabeth Kübler-Ross Recht hat, dass jeder nach dem Tod all jene Leiden selber durchleiden muss, die er verursacht hat, kommt nicht das Paradies auf diese Menschen zu, sondern weit eher eine höllisch anmutende Zeit der Reinigung und Heilung.

Lebenskunst
Dienstag, 26.12.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Die Weltpolitik ist angesichts des Mordens gläubiger Menschen aller Religionen gefordert. Es gilt, mit allen verfügbaren Mitteln die permanente Verletzung der Menschenrechte und der Religionsfreiheit zu unterbinden. Dazu leisten Religionsführer, aber auch Fachleute auf theologischen Lehrstühlen aller Religionen einen wertvollen Beitrag. Organisationen, wie „Kirche in Not“ oder „Open doors“, tragen heute durch eine gut belegte Dokumentation dazu bei, den Verantwortlichen die Augen zu öffnen und ins Gewissen zu reden. Die OSZE hat eine eigene Beauftragte, um Verletzungen der Religionsfreiheit aufzudecken und künftig zu verhindern. Die Religionsführer treffen sich zum Gebet für den Frieden, auch den Frieden untereinander. Weltfrieden wird es nur geben, wenn es auch Religionsfrieden gibt.

„Denn sie wissen nicht, was sie tun“

Und die Opfer selbst? Die christlichen Kirchen ehren die gemordeten Opfer als Märtyrer. Der Islam kennt den Begriff schahid, der mit dem Wort schahada, das heißt Glaubensbekenntnis, zusammenhängt. Märtyrer sind für die Religionsgemeinschaften also jene, die durch ihren Tod in einer unüberbietbaren Glaubhaftigkeit ihren Glauben bezeugen. Eben deshalb tragen sie Frucht, weil andere durch ihr Blutzeugnis leichter zum wahren Glauben finden können. Daher nennt sie die frühe Kirche „sanguis maryrum est semen christianorum“ - „Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Christenheit“. Ist das der Grund, warum heute die Christenheit weltweit so sehr wächst?

Bezeichnend ist die Reaktion der christlichen Kirchen auf die vielen Opfer unter ihren Mitgliedern. Der sterbende Stephanus wies dabei den Weg. Er betet für die irregeleiteten Täter: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ (Apg 7,60) Dabei folgt er seinem Vorbild Jesus Christus, der vor seinem Hinscheiden betete: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34) Die erlittene Gewalt führt nicht zu Hass, Rache und Vergeltung. Vielmehr versandet die erlittene Gewalt im Tod der Märtyrer. Die Spirale der Gewalt dreht sich nicht mehr weiter. Der Weg zur Versöhnung öffnet sich. Was braucht heute die Welt mehr als das Ende brutaler Gewalt, die in der Gewalt gegen betende Menschen gipfelt! Der Weg zum Frieden führt über die Versöhnung, auch der Religionen untereinander. Märtyrer und nicht Waffen weisen dazu den Weg!