Kurzessay zu Lukas 2, 22 – 40

Die katholische Kirche feiert das Fest der Heiligen Familie. Diese Familie war eine jüdische Familie: Davon erzählt in der Schriftstelle zum heutigen Festtag der Evangelist Lukas.

Gemäß dem Gesetz des Moses bringen sie Jesus nach Jerusalem, um ihn - wie jeden jüdischen Erstgeborenen – dem Herrn zu weihen; sie bringen ein Opfer dar – „ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben“. In Vers 21, der in der Einheitsübersetzung diese Erzählung eröffnet, in dieser Festtagesperikope aber fehlt, wird zudem davon berichtet, dass Jesus wie alle Juden gemäß der Tora beschnitten wurde.

Regina Polak
ist katholische Pastoraltheologin

Der Jude Jesus

Jesus war Jude, von einer jüdischen Mutter geboren, nach den Gesetzen der Thora beschnitten, gereinigt, Gott geweiht. So ist er mit Beginn seines Lebens in den Glauben Israels eingeführt worden. Er war vertraut mit den Riten, den Gesetzen, den Gebeten und Formen der jüdischen Tradition. Er feierte deren Feste, vor allem den Schabbat. Er konnte die Schriften, vor allem die Psalmen, auswendig zitieren.

Was bedeutet diese Tatsache für den Glauben von Christinnen und Christen? Ist das bloß eine historische Reminiszenz, ein biographischer Zufall – oder hat das nicht auch Folgen für den christlichen Glauben? Ich bin davon überzeugt, dass das Jude-Sein des Jesus von Nazareth auch eine spirituelle Bedeutung hat und sich daher in meinem Leben als Christin auswirken muss.

Die Heiden werden erleuchtet

Der verstorbene Judaistik-Professor Kurt Schubert hat diesen Sachverhalt einmal folgendermaßen beschrieben: „Durch Jesus sind die Heidenchristen in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen.“

Lebenskunst
Sonntag, 31.12.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Das bezeugt im Neuen Testament ja auch der alte Simon, ein gerechter und frommer Jude, auf den die Familie Jesu im Tempel trifft: Der kleine Bub ist „ein Licht, das die Heiden erleuchtet.“ Die Heiden aber, das sind alle, die nicht jüdischer Herkunft sind. Also auch alle Christen ohne jüdische Herkunft.

Wovon werden die Heiden da erleuchtet? Ich glaube, dass mir durch Jesus von Nazareth der Zugang zum Gott Israels erschlossen wird, ohne dass ich Jüdin sein oder werden muss. Dass ich zum Gott Jesu beten kann, dass mir dieser Gott zugetan ist, dass ich teilhaben kann an der Geschichte des Gottes Israels mit seinem Volk, dass die Normen und Verheißungen auch für mich Relevanz haben: Die Verpflichtung zu gerechtem Handeln, die Hoffnung auf Befreiung und Frieden.

Das jüdische Licht gibt den Christen zu denken

Für viele Christen ist eine solche Sicht vermutlich sehr ungewöhnlich. Viele sind – auch nach der Shoa – immer noch im Glauben erzogen worden, Jesus sei der erste Christ gewesen und das Judentum sei durch das Christentum gleichsam überholt, wenn nicht sogar verbessert worden. Nimmt man, wie Professor Schubert, das Jude-Sein Jesu auch theologisch ernst, dann verändert sich diese Perspektive radikal. Dann sind Christinnen und Christen als die Zweit-Geborenen auf das Lernen vom und den Dialog mit dem Judentum verwiesen. Was heißt das für das Verhältnis zum heutigen Judentum? Was bedeutet das für das christliche Bekenntnis? Wie verändert sich der Sinn von mancher Glaubensformel in diesem Licht?

Das jüdische Licht, das die Heiden erleuchtet, gibt auch heute noch dem christlichen Glauben zu denken.