Spielen
Gedanken für den Tag 4.1.2018 zum Nachhören:
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Spielen
Lasst uns spielen
ehe der Lebenstraum einschläft
Lasst uns
einen Schneemann kneten
der uns verlacht
die hochnasigen Erwachsenen
an der Nase führen
zum Mondmann fliegen
mit ihm unser Spiel treiben
Lasst uns ein Weilchen den Glauben umarmen
alles sei
wie es sein soll
im Atemspiel
mit dem Tod
Cornelius Hell
ist Literaturkritiker und Übersetzer
Alles ein Spiel, sagt das Gedicht, auch mit dem Tod, doch der bringt alles unter Zeitdruck – der Glaube, „alles sei / wie es sein soll“, währt nur kurz. Trotzdem, nein gerade deswegen, ist es wichtig zu spielen: Sich von einem Schneemann verlachen lassen, Erwachsene an der Nase führen und ein Spiel mit dem Mondmann treiben. Der entscheidende Grund steht am Anfang des Gedichts: „Lasst uns spielen / ehe der Lebenstraum einschläft.“ Das ist die Frist, auf die es ankommt. Wann der Tod das Spiel gewinnt, das hat man ja nicht in der Hand – aber den Lebenstraum wachhalten, da ist jeder und jede selbst am Zug. Auch die einfachen Spiele, die gerade jetzt im Winter möglich sind, in den ersten Tagen des neuen Jahres, wo viele Urlaub oder Ferien haben, wie etwa „einen Schneemann kneten / der uns verlacht“ – auch diese einfachen Spiele oder Märchen wie das vom Mann im Mond können den Lebenstraum wachhalten.
Und wenn der Lebenstraum nicht einschläft, blickt man nicht gebannt auf den Tod, sondern kann, wie Rose Ausländers Gedicht sagt „ein Weilchen den Glauben umarmen / alles sei / wie es sein soll“. Ein Weilchen, das so lang ist wie das Leben. „Lasst uns spielen / ehe der Lebenstraum einschläft“: eine gute Devise für das Jahr, das noch jung ist – und für den Beginn eines jeden Tages.
Buchhinweis:
Rose Ausländer, „Im Atemhaus wohnen. Gedichte“, Fischer TB
Musik:
Michael Riesman/Piano: „Zoe goes to the Restaurant“ aus: NO RESERVATIONS / Original Filmmusik von Philip Glass
Label: Decca Records/Universal 4759222