Wissen über die Vergangenheit

Wissen über die Vergangenheit wird auf vielen Ebenen vermittelt – vor allem auch in der Familie. 80 Jahre nennen Aleida und Jan Assmann als magische Grenze für das Zeitfenster des kommunikativen Gedächtnisses, in dieser Form kann Erfahrungswissen an kommende Generationen weitergegeben werden.

Gedanken für den Tag 10.1.2018 zum Nachhören:

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Diese generationsübergreifende Tradierung von Wissen verläuft zumeist en passant, ganz beiläufig, in kleinen bruchstückartigen Erzählungen. Der Zeithorizont reicht für meinen Jahrgang 1956 dank meiner Großmutter bis in die Habsburgermonarchie zurück. Es waren bruchstückartige Momentaufnahmen und emotional-atmosphärische Einstellungen, die meiner Generation über die Vergangenheit vermittelt wurden. Prägend war die Weltwirtschaftskrise, die Erfahrung meiner Großelterngeneration, von einem Tag auf den anderen alles verlieren zu können.

Heidemarie Uhl
ist Historikerin

Diskrepanz in der Erinnerung

Im Schulunterricht der 1970er Jahre wurde uns vermittelt, dass globale Wirtschaftskrisen ein überwundenes Phänomen der Vergangenheit sind und für Gegenwart und Zukunft denkunmöglich. Heute sind die 1970er Jahre für meine Generation ein goldenes Zeitalters der Wohlstandsgewissheit, und die bedrohliche Gefahr eines atomaren Weltkriegs ist in der Erinnerung weitgehend verblasst.

Auch die Habsburgermonarchie war im Familiengedächtnis als vager Horizont präsent, evoziert durch die Anschaffung des ersten TV-Geräts Anfang der 1960er Jahre. Für uns Kinder war es eine irritierende Erfahrung, dass die Großmutter bei der Kaiser-Hymne in den Sisi-Filmen in Tränen ausbrach. Dass ihr Verlobter im Ersten Weltkrieg gefallen war, dass ihre Lebensplanung dadurch zerstört wurde, darüber hat sie nie gesprochen, das erfuhren wir erst später.

Für die Jahre 1938 bis 1945 war die Diskrepanz zwischen dem kommunikativen und dem kulturellen Gedächtnis noch weitaus prägnanter. Die Darstellung des Schulbuchs über die Jahre des Nationalsozialismus und das tradierte Wissen der familiär-dörflichen Erzählgemeinschaft ließen sich nicht vereinbaren.

Musik:

Rundfunk Symphonieorchester Berlin unter der Leitung von Heinz Rögner: „Vorspiel - 1. Satz“ aus: „Suite Nr. 2 op. 24“ von Hanns Eisler, aus dem Film „Niemandsland“
Label: Berlin Classics 0092282 BC