Bibelessay zu 1 Korintherbrief 6, 13c - 15a. 17 – 20

Die Kritik Friedrich Nietzsches am Christentum war ebenso fundamental wie einflussreich. Die Christen hätten sich ein Gottesbild geschaffen, das nicht nur genussfeindlich sei, sondern generell die Realität verleugne. Insbesondere Paulus sei dafür verantwortlich, dass Christinnen und Christen sich aus der Welt weglögen.

Statt die Ambivalenzen des Lebens als Herausforderung anzunehmen, würden sie versuchen, diese hinter sich zu lassen und sich in ein vergeistigtes, idealisiertes Jenseits zu träumen. Tatsächlich kann sich Nietzsches Argument auf eine lange Interpretationsgeschichte berufen, die den Paulus so verstanden hat. Paulus predige eine Abkehr von der Welt in ihren Ambivalenzen. Entsprechend sei die körperliche Existenz des Menschen nicht wichtig. Ihm gehe es um die Innerlichkeit, die Seele. Denn während die Seele fähig zur Begegnung mit Gott sei, verstricke der Körper den Menschen in das Irdische und entferne ihn von Gott.

Mirja Kutzer
ist katholische Theologin und Germanistin

Die leibliche Existenz des Menschen

Die Passage aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde von Korinth legt jedoch ein anderes Verständnis nahe. Dort steht: Der Körper, griechisch soma, ist für Gott da, und Gott für den Körper. Der Körper wird als Tempel des Heiligen Geistes bezeichnet. Und es sind die Körper des Menschen, die zu Gliedern Christi werden. Paulus ist Jude. Als solcher versteht er den Körper keineswegs als das Gegenprinzip zum Geist, als den ihn die griechische Philosophie gesehen und damit das spätere Verständnis der paulinischen Schriften über lange Zeit geprägt hat. Der Körper ist vielmehr uns zugehöriger Leib, ein Ort der Kommunikation, Ansprechbarkeit und Beziehung.

In der leiblichen Existenz des Menschen entscheidet sich, welche Bindungen wir eingehen, was die Identität des Menschen, was sein Handeln bestimmt. Denn die Bedürfnisse des Menschen, seine Sehnsüchte und Nöte, sind wesentlich körperlich bestimmt. Hunger und Durst signalisieren, was der Mensch zum Leben braucht. Wir spüren ein Prickeln in den Gliedern, wenn wir etwas genießen; einen quasi-körperlichen Schmerz, wenn wir unglücklich verliebt sind oder wenn wir trauern.

Lebenskunst
Sonntag, 14.1.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Ort der Beziehung

Gleichzeitig macht der Körper unsere vielfältigen Abhängigkeiten deutlich. Dass wir sind, verdanken wir Eltern, anderen Menschen, die uns genährt und gepflegt haben, als wir selbst dies noch nicht konnten. Es ist die Hinfälligkeit und Verletzlichkeit des Körpers, die uns daran erinnert, dass wir nicht alles kontrollieren können, letztlich sterblich sind. Schließlich ist es der Körper, mit dem wir die ethische Qualität unserer Beziehungen ausdrücken – durch Gewalt, sexuelle Machtausübung oder indem wir Menschen von uns fern halten. Aber auch durch körperliche Nähe, fürsorgliche Pflege, durch Zärtlichkeit.

Als Ort der Beziehung, so macht es Paulus deutlich, ist der Leib auch privilegierter Ort der Beziehung zu Gott. Keineswegs geht es ihm dabei um ein in der Zukunft liegendes Leben nach dem Tod, das mit dem Körper auch die irdische Existenz hinter sich gelassen hätte. Entgegen der futurischen Übersetzung auch der neuen Einheitsübersetzung wird der Mensch durch Christus nicht erst auferweckt werden. Er ist es bereits – gerufen in ein neues Leben, in dem er mit Christus verbunden ist. Und diese neue Existenz soll zum Ausdruck kommen – in der irdischen Existenz, im Körper, im ethischen Handeln. „Verherrliche Gott in deinem Leib“, heißt es im Text. Christ zu sein bedeutet damit nicht, die körperliche Existenz hinter sich zu lassen, sondern sie neu gestalten zu können.