Ritt durch den Wald

„Sie ritten mittagwärts dem Walde zu. Im Walde ritten sie auf einem schmalen Pfade zwischen die Bäume hinein. Sie ritten auf dem Pfade unablässig fort. Zuweilen trank einer aus einer Quelle, die an allen Orten im Walde rieselten.“

Gedanken für den Tag 26.1.2018 zum Nachhören:

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So, nahezu einsilbig, erzählt oder zählt Adalbert Stifter in dem Dichtungsversuch Witiko einen Ritt durch den Wald auf. Es reiht sich hier ein ritten ans nächste, mit der kleinen Variation von sie ritten zu ritten sie und von ritten sie noch einmal zu sie ritten, bis, was so nahezu Wiederholung ist, eine Verwandlung erfährt, indem auf das dritte ritten ein rieselten folgt.

Michael Donhauser
ist Schriftsteller

Keine Wahl zwischen den Quellen

Dichtung ist Verwandlung, und gerade da, wo diese am unscheinbarsten geschieht, ist die Dichtung am innigsten bei sich. Doch anderes noch geschieht hier, wenn der letzte dieser vier Sätze lautet: „Zuweilen trank einer aus einer Quelle, die an allen Orten im Walde rieselten.“ Denn das ist fehlerhaft, da richtig es heißen müsste: Zuweilen trank einer aus einer der Quellen, die an allen Orten rieselten.

Diese Fehlerhaftigkeit aber ist sinnstiftend, denn die richtige Formulierung, aus einer der Quellen, unterstellt dem Trinkenden eine Wahl zwischen den Quellen, die da allerorts rieselten. Das Verschleifen hingegen des Wechsels von der Einzahl Quelle zu der Mehrzahl rieselten in der Formulierung, aus einer Quelle, die an allen Orten im Wald rieselten, erwirkt, dass da nicht von den vielen Quellen eine zum Trinken ausgewählt wird, sondern das Trinken aus einer Quelle, die da rieselten, eine Beiläufigkeit erhält, die dem zuweilen als Zeitangabe entspricht. Was aber zuweilen geschieht, fügt sich, und die Spannung zwischen Fügung und Wahl ist nicht allein Thema des Witiko, sondern Teil eines Schreibens, dem solch sinnstiftende Fehlerhaftigkeiten zuweilen geschehen.

Buchhinweis:

Michael Donhauser, „Waldwand“, Verlag Matthes & Seitz

Musik:

John Steele Ritter/Cembalo, Jean Pierre Rampal/Flöte und Isaac Stern/Violine: „La Pantomime: Loure un peu vive - 1. Satz“ aus: „Suite Nr. 4 in B-Dur / Quatrieme Concert“ von Jean Philippe Rameau
Label: Sony SK 45868