Bibelessay zu Markus 1, 21 – 28

Natürlich ist das keine „ganz neue Lehre“, die die Menschen in der Synagoge zu hören bekommen – nicht in unserem Alltagsverständnis, demzufolge das Neue besser ist als das Alte und dieses überflüssig macht. „Kaine“ - das griechische Wort für „neu“ - bedeutet auch: ungewöhnlich, unerwartet und fremd.

Jesus von Nazareth ist Thora-Lehrer. In der Synagoge hören die Juden ihre Thora – und sie wird von Jesus, dem Juden, ausgelegt. Jeder kennt also diese Texte. Und doch erscheinen die altvertrauten Texte allen vollkommen „neu“. Nicht nur das: Die Menschen erschrecken sogar, als sie Jesus lehren hören.

Anita Polak
ist Professorin an der katholischen Fakultät der Universität Wien und Religionssoziologin

Jesus spricht mit Autorität

Offenbar wird es sehr ernst, elementar, wenn Jesus die Thora auslegt. Als neu wird die Art und Weise erlebt, in der Jesus die Schrift deutet. Jesus deutet die Schrift auf eine andere Weise, als die Menschen in Kafarnaum es sonst in ihrer Synagoge gewohnt sind. Da tritt ein Prediger auf, der für sich offenbar die höchste Autorität des Ewigen in Anspruch nimmt. Er spricht, so das Markus-Evangelium, mit exousia.

Dieses griechische Wort wurde verwendet, um eine Autorität anzuzeigen, die von außen kommt; eine besondere Fähigkeit, ein besonderes Potential, auch das uneingeschränkte und im Handeln vollkommen freie Recht eines Königs. Vielleicht würde man heute sagen: Jesus spricht vollkommen authentisch, aus ureigenstem Wesen - und eben deshalb zugleich tief in Gott verwurzelt, untrennbar mit ihm verbunden, auf ihn bezogen, schlicht und ergreifend: FREI. Wort und Wirken passen zusammen. Da nimmt einer das Wort Gottes so ernst, spricht so aus seinem Innersten heraus, dass er kraft seiner Autorität auf die göttliche Macht verweist, diese sogar sichtbar werden lässt. Da nimmt einer das Wort Gottes so ernst, dass Menschen sagen werden: In ihm wird das Wort Gottes lebendig, wird es Fleisch.

Umkehr wird gefordert

Was hier in der Synagoge vor sich geht – eine in Gott verwurzelte, authentische Thora-Exegese – löst zunächst freilich keinesfalls Begeisterungsstürme aus. Der erste, der das bemerkt, ist ein unreiner Geist. So beschreibt es das Evangelium mit der Sprache des damaligen Weltbildes. Wo Gottes Kraft zu wirken beginnt, bekommt das Böse Angst. Das Böse wird unruhig, das heißt lebensverneinende, lebenszerstörerische Kräfte und Dynamiken werden aufgedeckt; die vertrauten, aber lebensbeengenden Gewohnheiten werden in Frage gestellt.

Lebenskunst
Sonntag, 28.1.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Diese Dynamik ist nicht neu, sie hat gute biblische Tradition: Wenn Gott zu wirken und seine Menschheit zu befreien beginnt, wird es immer etwas ungemütlich – zunächst auch für die zu Befreienden. Nicht die vertraute, übliche Ordnung wird bestätigt, vielmehr wird Umkehr erforderlich: Metanoia ist angesagt, d.h. umdenken auf Griechisch, Teschuwa erforderlich, d.h. Reue auf Hebräisch. Das ist ja bei Markus auch die erste Botschaft, mit der Jesus in Erscheinung tritt: Kehrt um und vertraut dem Evangelium! Das Reich Gottes ist nahe, angekommen, es wirkt bereits!

Damit man das wahrnehmen kann, müssen aber zuerst unreine Geister vertrieben werden. Erst dann kann so mancher, so manche erst für das Wort und Wirken Gottes empfänglich und frei werden und es wirklich hören. Besessenheiten, Abhängigkeiten, Süchte, Verzerrungen der Wirklichkeitswahrnehmung, fixe Vorstellungen – sie alle müssen weichen. Und sie zerren am Menschen. So ohne weiteres lassen sie nicht los.

Der Böse Geist muss verschwinden

Bemerkenswert finde ich, wie Jesus mit dieser Situation umgeht. Da wird zum einen klar unterschieden zwischen dem besessenen Mann und dem unreinen Geist. Nicht mit dem Mann, sondern mit der Dynamik geht Jesus in den Konflikt. Dies dann aber sehr klar und eindeutig: „Schweig und verlass ihn!“ Der sanftmütige Jesus, der seine Heilungen so oft mit Fragen einleitet wie: „Was willst Du, dass ich Dir tue?“ – In dieser Situation gibt es für Jesus nichts zu verhandeln. Hier wird der böse Geist zum Verschwinden aufgefordert. Keine Verhandlungen mit Dynamiken des Bösen, die von Menschen Besitz ergreifen und sie krank machen.

Dieser Vorgang kann Angst machen. Kein Wunder, dass die anderen Menschen in der Synagoge erschrecken und den Eindruck bekommen, sie hätten noch nie gehört, was Jesus gesagt hat. Vielleicht haben sie es sogar schon sehr oft gehört. Aber jetzt erst sehen sie vor ihren Augen, was das praktisch bedeuten kann. Sie werden die Synagoge sehr irritiert und aufgescheucht verlassen.

Und die Christinnen und Christen: Wie wird in ihrem Zeugnis die Vollmacht des einen und einzigen Gottes sichtbar? Welche Dämonen treiben sie aus?