Bibelessay zu Markus 1, 40 – 46

Der Aussatz ist so schrecklich wie das Wort, das ihn beschreibt. Ein Mensch wird ausgesetzt, wie ein Unzugehöriger einfach ausgesetzt. In der Antike fürchtete man den Aussatz, weil er zu den ansteckenden Krankheiten zählte. Und so verloren die Aussätzigen ihre soziale Zugehörigkeit. Das mitmenschliche Band wurde zerrissen.

Was Aussatz anrichtet und wie er wirkt, beschreiben die Bedeutungen des hebräischen Wortes zara’a drastisch. Das Wort bedeutet nämlich auch: niederwerfen, demütigen. Aussatz entwürdigt. Aussatz isoliert. Denn Aussätzige erschrecken, weil sie anders aussehen und teils entstellt sind. Wer solchen Kranken sich näherte, gefährdete sich selbst. Und auch wenn die Gefährdung vielleicht nicht einmal unmittelbar von einer Infektion ausgehen wird, bleibt an dem, der sich einem solchen Entstellten annähert, nicht selten etwas hängen, das auch ihn zu einem Entstellten macht. Er hat ihn berührt – furchtbar. Er hat den Kranken, den Entstellten berührt.

Wolfgang Treitler
ist katholischer Theologe und Judaist

Der Wille Jesu

Natürlich ist der Schutz einer Gemeinschaft wichtig. Quarantänen gehören seit alters zu den Prozessen der Gesunderhaltung und der Genesung. Masern-Infektionspartys von Impfgegnern, die auf natürliche Immunisierung spekulieren, sind ein Verbrechen gegenüber allen anderen. Man spielt nicht mit der bewussten Gefährdung anderer. Das ist die eine Seite. Doch durch solche Quarantänen darf man das Verbindende unter den Menschen sich nicht nehmen lassen. Genau das erzählt der Evangelist Markus. Mich interessiert an seinem Text nicht die Frage, wie die Genesung des Aussätzigen vonstattengegangen sein könnte. Wichtig ist mir der unspektakuläre Satz, den Markus Jesus in den Mund legt: „Ich will es – werde rein!“

Hier trifft man den entscheidenden Punkt: den Willen Jesu, den Willen des Menschen. Dieser Wille ist es, der Perspektiven öffnet, die ohne ihn nicht wirklich wären. Menschlicher Wille erschafft eine neue Wirklichkeit, er bringt etwas hervor, was es davor nicht gab. Jesu Wille ignoriert den Schutz der Gemeinschaft nicht. Er anerkennt diesen Schutz. Das wird deutlich daran, dass er genau darauf bedacht bleibt, dass der Geheilte sich dem Priester zeigt und dadurch seine Wiederaufnahme in die Gemeinschaft auch bestätigt und gesichert wird. Was aber Jesu Wille schafft, ist Zweierlei. Er durchbricht die Demütigung der Aussonderung, die den Aussätzigen trifft; und er schafft eine reale Perspektive der Rückkehr des Kranken in die Gemeinschaft.

Klarer Blick und weiter Geist

So steht Jesus für das Verbindende unter den Menschen, nicht für das Trennende. Es gehört zu den Tragödien der Geschichte Europas und des Christentums, dass dieser Jesus oftmals und bis heute für Trennung und Abwehr missbraucht wird. Das galt über Jahrhunderte hindurch, wenn es um die Degradierung der jüdischen Gemeinschaft durch christliche Kirchen im Namen Jesu Christi ging; das gilt heute, wenn selbsternannte Retter des Abendlandes auftauchen und den christlichen Universalismus, der alle Menschen als Geschwister anerkennt, in ihre enge, nationalistisch aufgeladene Welt einsperren oder den Armen wichtigen Grundlagen ihres Lebens entziehen wollen. Diese Leute erzeugen sozialen Aussatz, sie wollen sozialen Aussatz. Sie kehren den Willen Jesu um, halten die Armen und Ausgesperrten in ihrer Demütigung fest und lassen sie ihre Demütigung spüren; und sie warten, selbst gesättigt und ihrer Dinge sicher, darauf, dass die Ausgesperrten irgendwann aufgeben und verschwinden, irgendwohin.

Lebenskunst
Sonntag, 11.2.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Jesus erkannte, welch eine starke Sprache die Aussätzigen sprechen, auch wenn sie stumm sind. Er war weder blind für ihre Not noch blind dafür, dass sie sich in die Gemeinschaft wieder einfügen können und auch einfügen müssen; dafür müssen sie auch die Regeln der Gemeinschaft befolgen, sofern diese Regeln menschlich sind. Das alles zu sehen, fordert einen klaren Blick und vor allem einen weiten Geist.

Echte Christinnen und Christen heute

Es ist längst an der Zeit, diese Weite Jesu denen entgegenzusetzen, die an die Stelle der Menschlichkeit irgendetwas Verengtes und Trennendes setzen und es christlich verbrämen. Sie haben nicht verstanden, dass Jesus genau dafür nicht steht. Jesus sah die Grindigen, die Notleidenden, die Aussätzigen, die Fliehenden und die Gedemütigten und holte sie zurück – und damit wurde er zu einem Versprechen für all diese, die irgendwann hinausgeworfen wurden.

Dieses Versprechen leben echte Christinnen und Christen heute oder sie sind nicht christlich. Demütigungen generell, besonders jedoch Demütigungen von ohnedies Schwachen haben im Christentum absolut keine Berechtigung. Daher werden Christinnen und Christen daran gemessen werden, ob sie einem Hinausgeworfenen, einem einzigen von ihnen, zum Versprechen der Rettung und zum Versprechen einer Gemeinschaft geworden sind, die sie aufnimmt.