Bibelessay zu Markus 1, 12 – 15

Für einen Menschen zur Zeit Jesu war die Wüste keine exklusive Urlaubsdestination; man begab sich nicht dorthin aus purer Abenteuerlust oder auf Selbsterfahrungstrip.

Dem antiken Menschen galt die Wüste als lebensfeindlicher Un-Ort, als Gegen-Ort zu den zivilisierten, menschlichen Lebens- und Kulturräumen. Die Wüste besaß insofern keinen positiven Wert für sich, sondern stellte eher so etwas wie eine grundlegende Infragestellung all dessen dar, was sonst Wert besaß und das Leben ausmachte.

Markus Schlagnitweit
ist katholischer Theologe, Hochschul- und Künstlerseelsorger der Diözese Linz

Auf gewohnte Muster verzichten

Wenn das Evangelium davon erzählt, dass Jesus sich (durchaus in der Tradition biblischer Propheten) 40 Tage lang diesem Gegen-Ort Wüste aussetzte, und wenn an diese Tatsache ausgerechnet am Beginn der 40-tägigen vorösterlichen Fastenzeit erinnert wird, dann will das wohl den eigentlichen Sinn des Fastens erschließen:

Ebenso wie die Wüste stellt auch das Fasten keinen positiven Wert für sich dar. Die in den letzten Jahren populär gewordene positive Verzweckung des Fastens führt da eigentlich in die Irre: Reduktion von Übergewicht, Reinigung und Entschlackung des Körpers, Verzicht auf unnötige Genussmittel, auf unreflektierten Gebrauch des Autos oder auf sonstige nicht nachhaltige Lebensgewohnheiten – das alles ist natürlich nicht schlecht und – im Gegenteil – höchst gesund und lobenswert. Aber es geht doch am ursprünglichen Sinn religiösen Fastens vorbei.

Lebenskunst
Sonntag, 18.2.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Dieser Sinn liegt einzig und allein in der Durchbrechung gewohnter Lebenszusammenhänge und -vollzüge. Fasten bedeutet, im Rahmen einer bewusst gesetzten Frist auf gewohnte Lebensmuster zu verzichten oder durch ihre bewusste Abänderung die alltägliche Routine zu stören, um das eigene Leben wieder bewusster und v.a. selbstkritischer wahrnehmen zu können – von Ess- und Schlafgewohnheiten angefangen bis hinein in den Bereich meiner Aufgaben in Beruf und Familie, meiner Beziehungen oder meiner Kommunikation mit meinem Lebensumfeld.

Echte Lebensfreude

Wie ein Maler immer wieder von seinem Gemälde zurücktreten muss, um sich der Richtigkeit seines Tuns vergewissern und ggf. Korrekturen anbringen zu können – genauso soll der religiös fastende Mensch aus seinen gewohnten Lebensbahnen heraustreten, um diese kritisch in den Blick nehmen zu können und sich zu vergewissern: Stimmt die Richtung noch? Worin liegt der Sinn meines Tuns und Lassens? Wo muss ich korrigieren, um mein Leben wieder in Übereinstimmung zu bringen mit meinen Werten, meinem Glauben und dem sich daraus ableitenden Lebenssinn? Das wäre der eigentliche Sinn der christlichen Fastenzeit.

Bringen Sie also ruhig ein paar Kilo Übergewicht weg! Fahren Sie ruhig weniger Auto! Oder verzichten sie ruhig auf Alkohol oder Tabak! Aber vergessen Sie dabei nicht, dass der eigentliche Sinn solchen Fastens nicht in den dadurch erzielten positiven Effekten liegt, auch nicht in der Erbringung asketischer Leistungen! Nicht das Fasten selbst besitzt einen positiven Wert. Sein Sinn ist erst dann erfüllt, wenn es durch das Fasten gelingt, das eigene Leben wieder auf das auszurichten und zu konzentrieren, was ihm wirklich Sinn verleiht. Und wenn das genau umgekehrt dadurch gelingen sollte, dass sie sich anstatt weniger sogar mehr von jenen Dingen und Lebensinhalten gönnen, die ihr Leben mit Sinn und echter Lebensfreude erfüllen – dann ist gewiss auch das „ein Fasten, wie es dem Herrn gefällt“.