Kränkung als Hassauslöser

80 Jahre Anschluss: Hitler teilte, wie viele damals, die Hoffnung auf Linderung jener Kränkung, die er durch die deutsche Niederlage 1918 erlitten zu haben glaubte.

Gedanken für den Tag 15.3.2018 zum Nachhören:

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Sich mit sozialen Kollektiven so sehr zu identifizieren, dass deren Niederlagen wie eigene Verletzungen erlebt werden, das ist kein neues, aber ein in der Moderne höchst virulentes Phänomen. Staaten lebten lange davon, dass ihre politischen Kollektivkörper im Erleben des Einzelnen mit dessen eigenem Körper in eins gesetzt wurden.

Rainer Bucher
ist katholischer Theologe und Autor. Sein Buch „Hitlers Theologie“ ist im echter-Verlag erschienen.

Rhetorisches Talent und Skrupellosigkeit

Von heute aus gesehen ist es kaum nachvollziehbar, wie sehr etwa die relativ moderaten Gebietsverluste Deutschlands nach dem I. Weltkrieg als persönliche Demütigung erlebt wurden. In Hitlers Biografie war diese Demütigungserfahrung der zentrale Auslöser zur Formung seiner „Weltanschauung“ und zum Entschluss, in die Politik zu gehen.

Hitler hat, wie viele damals, auf die Kränkung der Niederlage im I. Weltkrieg mit Ressentiment, Racheprojekten und Sündenbockmechanismen reagiert. Im Unterschied zu Millionen anderer konnte Hitler dank seines rhetorischen Talents und seiner Skrupellosigkeit dies erfolgreich in ein politisches Projekt umsetzen. Hitlers Nationalsozialismus spitzte die „Dolchstoßlegende“ zu, fokussierte die Rache auf die Juden, aber auch auf Sozialisten und Demokraten, und erhoffte Kränkungslinderung, ja Kränkungsüberkompensation durch die kollektive Vernichtung all jener, die er für diese Kränkung verantwortlich machte.

Man ist verantwortlich dafür, mit wem man sich identifiziert und wodurch man sich gekränkt fühlt. Denn es signalisiert, durch welche Identifikationsprozesse man sich selbst definiert. Und noch mehr ist man verantwortlich dafür, wie man mit den unvermeidlichen Kränkungen des Lebens umgeht. Es stellt uns die Frage, ob wir Kränkungen erleiden können, ohne hassen zu müssen.

Musik:

Amsterdam String Trio: „En deuil“ von Maurice Horsthuis
Label: Winter & Winter 9100602