Stress statt Trost

Oder wo beginnt die Religions- und Meinungsfreiheit und wo endet eine diskriminierende Haltung?

Der Tod eines nahen Menschen bedeutet Stress, sei es Schock, Schmerz oder einfach Trauer. Ich stand vor wenigen Wochen unter Schock nach dem Tod von N. Er war nur weitschichtig mit mir verwandt, aber er war ein verlässlicher juristischer Berater und dadurch auch ein stützender Lebensbegleiter. Sein Tod hat mich erschüttert, zumal er fürs Sterben mit knapp über 60 zu jung war. Mit diesem Schmerz ging ich zum Begräbnis und zur anschließenden Seelenmesse.

Susanne Eiselt
ist PR- und Kommunikationsberaterin

Die Tempelreinigung

Ich hatte nie Berührungsängste mit der Kirche oder der christlichen Religion. Ich habe Kunstgeschichte studiert und sehe mir Kirchen auch aus diesem Aspekt an. Ich schätze Orgelmusik oder auch Chorgesang, natürlich vor allem Bach, aber auch Schubert oder Mozart. Ich berichte das so genau, weil ich mir als Jüdin einen Weg zur Welt meiner Freundinnen und Freunde, die kirchliche Feste oder Anlässe zelebrieren, gesucht und, wie ich glaubte, auch gefunden habe.

Doch diesmal erlebte ich in meiner stillen Verwundung über N.s Tod zusätzlichen Stress. In der Predigt der Seelenmesse wurde Johannes 2, Vers 13 - 16 zitiert. Es geht darin um die sogenannte Tempelreinigung. Die Szenen, die immer wieder Eingang in die Kunstgeschichte oder in Filme oder ähnliche Darstellungen gefunden haben, sind durchaus sehr bekannt.

Lebenskunst
Sonntag, 25.3.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Geschichtsbewusstsein ohne Ressentiments

Jesus vertreibt die Händler, die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben, und die Geldwechsler, er sagt ihnen, sie mögen den Tempel niederreißen, damit er einen neuen errichten werde. Diese Passage, in denen Juden als „Geschäftemacher“ präsentiert werden, in denen ihnen die Zerstörung des Tempels quasi angeordnet wird, löste wenige Tage vor dem Gedenken an den März ’38 einen unangenehmen Schauer aus. Sosehr diese Passagen seit hunderten Jahren bekannt sind, so glaube ich doch, dass sie nicht einfach nur zitiert werden können, ohne sie entsprechend zu kommentieren: „Juden als Geschäftemacher, als wenig seriöse Zeitgenossen, deren Gotteshaus zerstört werden sollte“.

Das Unheil von 1938 habe ich plötzlich vor Augen, als Menschen glaubten, legitimiert zu sein, den Juden Hab und Gut zu stehlen und ihre Gotteshäuser zu zerstören. Was lösen solche Formulierungen aus dem Evangelium heute aus, wenn sie unkommentiert übernommen und nicht entsprechend verbal entschärft werden?

Ich gehe sehr nachdenklich hinaus. Was habe ich erwartet? Was habe ich erhalten? Ich weiß nur, was ich mir wünsche: Ein stärkeres sensibles Geschichtsbewusstsein ohne Ressentiments, die wieder zu Feindbildern führen