Bibelessay zu Apg 1, 15 - 17.20a - 26c

Definitive Abschiede müssen eine Beziehung nicht beenden; sie können sie auch in eine neue Qualität heben, gekennzeichnet durch Eigenverantwortung und Emanzipation.

Die biblischen Lesungen dieses letzten Sonntags vor Pfingsten reflektieren die Trennungserfahrung, welche ein Urdatum des Christseins ist – wie überhaupt aller Religionen, welche sich auf eine historische Gründergestalt zurückführen. Ich meine die Erfahrung, dass die historische Gegenwart Jesu in dieser Welt an ein Ende gekommen ist. Er hat ein Vermächtnis hinterlassen und es seinen Gefährten überantwortet.

Markus Schlagnitweit
ist Hochschulseelsorger der Diözese Linz

Suche nach neuen Wegen

Die Fortführung seines Erbes liegt nun in ihren Händen – und diese Fortführung steht von Anfang an unter einer Spannung: Auf der einen Seite soll größtmögliche Treue und Nähe gewährleistet bleiben zu allem, was von Jesus überliefert ist. Auf der anderen Seite braucht es die eigenverantwortliche Suche und Beschreitung von neuen Wegen; denn im Lauf der Zeit stellen sich stets neue Herausforderungen und Fragen, zu welchen die penible Orientierung an der Jesus-Überlieferung keine tauglichen Antworten mehr bietet. Auf Fragen nach zeitgemäßem Christsein heute taugen mitunter nicht einmal mehr Antworten, die vielleicht noch vor 50 Jahren ihre Berechtigung und Gültigkeit besaßen.

Lebenskunst
Sonntag, 13.5.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Diese Spannung wird auch in der heutigen Tageslesung aus der Apostelgeschichte spürbar: Petrus meint, die ursprüngliche 12-Zahl der Apostel wiederherstellen zu müssen, und zwar mit einem, der – wie die übrig gebliebenen 11 – zur Schar der unmittelbaren Augen- und Ohrenzeugen des Lebens mit Jesus gehört. Das Unterfangen des Petrus ist zwar verständlich, aber auch kurzsichtig: Der Urzustand sollte möglichst fortbestehen; aber zugleich musste doch auch schon damals klar sein, dass es solche Augen- und Ohrenzeugen früher oder später ohnehin nicht mehr geben würde. Heute spielt in der Kirchenleitung nicht einmal mehr die 12-Zahl eine wesentliche Rolle. Wie denn auch in einer Glaubensgemeinschaft, die sich aus der kleinen Jerusalemer Gemeinde zu einer Weltreligion entwickelt hat? – Allein daran wird deutlich: Es kann und darf den christlichen Kirchen nicht einfach darum gehen, möglichst viel von den Ursprüngen unverändert durch die Zeitläufe hindurch zu retten. Vor allem Strukturen werden früher oder später überholt. Es kann immer nur um den zentralen Kern der Jesus-Botschaft gehen, der bewahrt und weiter tradiert werden muss.

Inhalt des Christseins

Bleibt die Frage, worin dieser eigentliche Kern besteht. Mein Vorschlag für ein Unterscheidungskriterium: Immer wieder danach fragen, wofür eigentlich Jesus sein Leben eingesetzt hat und gestorben ist. Angesichts dieser Frage verblasst vieles zur Bedeutungslosigkeit, was für manche unverzichtbar zum Wesen der Kirche zu gehören scheint. Ein paar Beispiele: Kann sich jemand ernsthaft vorstellen, Jesus hätte sein Leben dafür hingegeben, dass nur zölibatäre und exklusiv vom Nachfolger des Petrus dazu ernannte Männer für höhere Leitungsämter in seiner Jüngerschaft in Frage kämen? Oder dass Menschen in einer zweiten Ehe nur am Rande der Glaubensgemeinschaft Platz hätten? Oder dass das Gedächtnis des letzten Abendmahls nur unter penibler Beobachtung liturgischer Vorschriften und wiederum nur unter dem Vorsitz von lebenslang zölibatären Männern gültig gefeiert werden könne? Kann man dafür ernsthaft sein Leben lassen und Menschen gewinnen?

Wofür Jesus gelebt und sein Leben eingesetzt hat, ist dagegen ziemlich unstrittig überliefert – etwa im Lukas-Evangelium, wo es von Jesu erstem öffentlichen Auftreten berichtet und wo Jesus ausdrücklich sagt, wozu er gekommen ist: Armen eine gute Nachricht bringen, Gefangenen die Entlassung künden, Blinde aufblicken lassen, Unterjochte freisetzen und eine Zeit ausrufen, in der allein Gottes Gerechtigkeit gilt. – Das ist die bleibende Inhaltsangabe des Christseins, die gleichwohl nach zeitgemäßer Umsetzung verlangt.