Israels Talmudschüler jetzt wehrpflichtig

Erstmals in der Geschichte Israels sind jetzt auch orthodoxe Talmudschüler zumindest theoretisch wehrpflichtig. Eine baldige Einberufung müssen die Orthodoxen trotzdem nicht befürchten.

Betroffen sind 54.000 junge Männer, die an den religiösen Schulen eingeschrieben sind und deshalb bisher vom Wehrdienst freigestellt waren. Die vom Obersten Gerichtshof im Februar verworfene gesetzliche Freistellung (Tal-Gesetz) lief am Mittwoch aus, ohne dass sich die Regierung auf eine Neuregelung einigen konnte. Eine von der säkularen Mehrheit aus Gründen der Gerechtigkeit geforderte baldige Einberufung müssen die Orthodoxen trotzdem nicht befürchten.

Zeit gewinnen für Kompromissformel

Verteidigungsminister Ehud Barak wies das Militär an, binnen eines Monats eine „praktische Regelung“ darüber auszuarbeiten, wie die allgemeine Wehrpflicht umzusetzen sei. In Pressekommentaren wurde jedoch darauf verwiesen, dass die Vorbereitungen eher mehrere Monate in Anspruch nehmen dürften. Das gebe der Regierung genügend Zeit, doch noch eine Kompromissformel zu finden.

Talmudschüler bei einer Protestkundgebung in Jerusalem

EPA/Jim Hollander

Talmudschüler bei einer Protestkundgebung am 16. Juli in Jerusalem

Ultraorthodoxe Aktivisten kündigten unmittelbar nach der Entscheidung Widerstand an, andere äußerten wiederum Skepsis über eine tatsächlich Umsetzung der neuen Regelung. Die moderate Kadima-Partei von Schaul Mofas war Mitte Juli im Streit über die Wehrpflicht für Ultraorthodoxe aus der Regierungskoalition von Likud-Chef Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ausgetreten.

Sonderrechte für Orthodoxe

Kadima war vor der Knesset-Wahl 2006 vom damaligen Premier Ariel Scharon gegründet worden, nachdem dieser den Likud verlassen hatte. Die Partei regierte mit Scharons Nachfolger Ehud Olmert bis 2009. Erst vor zwei Monaten war sie unter Mofas in die Likud-geführte Regierung eingetreten, die sich damit auf 94 der 120 Knesset-Mitglieder stützen konnte. Doch die Rechnung, dass Netanjahu mit Kadima-Unterstützung weniger Rücksicht auf Forderungen kleinerer, streng religiöser und ultrarechter Koalitionspartner nehmen müsste, ging nicht auf.

2002 Wehrpflicht neu geregelt

2002 verabschiedete die Knesset eine Neuregelung der Wehrpflicht gemäß einer Studie des Richters Zvi Tal, die 1999 in Auftrag gegeben worden war. Das oberste Gericht entschied, dass dieses „Tal-Gesetz“ keine Gleichberechtigung für alle Bürger gewährt und deshalb verfassungswidrig ist.

Staatsgründer David Ben Gurion hatte beschlossen, die ultraorthodoxen Juden vom Wehrdienst zu befreien. Damals gab es nur ein paar tausend Ultraorthodoxe in Israel. Ben Gurion argumentierte damals, dass jene frommen Juden durch ihre Lebensweise und das Thorastudium die Identität des Judentums über die Jahrhunderte bewahrt hätten.

Inzwischen stieg die Zahl der traditionell kinderreichen Orthodoxen allerdings auf gut 15 Prozent der Bevölkerung. Seit einigen Jahren gibt es deshalb Bemühungen, auch Orthodoxe in den Militärdienst einzubinden.

(dpa/APA)

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