Der Kampf um die Vorhaut geht weiter

Ein Gerichtsurteil in Köln gegen die Beschneidung ist Anlass für ein Streitgespräch von Experten im Rahmen der ORF-Sendung „kreuz und quer“.

Der Hamburger Rechtswissenschaftler Reinhard Merkel betont, dass die Risiken nicht heruntergespielt werden dürfen. Beschneidung sei ohne Betäubung schmerzhaft und qualvoll und habe in einzelnen Fällen katastrophale Folgen. Laut einer Studie aus den USA sollen jährlich rund 100 Männer und Burschen an den Folgen der Beschneidung sterben.

Kreuz und Quer Studiodiskussion

ORF / Marcus Marschalek

„kreuz und quer“ Diskussion im Studio unter der Leitung von Michael Hofer, Dienstag 28.8.2012, ca. 22.30 Uhr ORF 2

Rabbiner Schlomo Hofmeister zweifelt jedoch an, ob die Beschneidungen, die zu diesen Todesfällen führten, auch wirklich aus religiösem Anlass waren. Um die Beschneidung zu verteidigen, fügt er noch folgenden Vergleich hinzu: Jährlich würden mehr Kinder in Autounfällen ums Leben kommen als an den Folgen der Beschneidung.

In den Bund Gottes aufgenommen

Im Judentum gilt die Beschneidung von gesunden Kindern am achten Tag nach der Geburt als Gebot Gottes. Sie soll eine dem Abraham von Jahwe mitgeteilte Sitte sein, wodurch der kleine Bub in den Bund Gottes aufgenommen wird. Die Beschneidung ist das erste und wichtigste der 613 Gebote in der Thora. Während der Zeremonie müssen zehn jüdische Männer als Vertreter der Gemeinde anwesend sein. Der Prophet Elia soll als unsichtbarer Ehrengast dabei sein.

Die Beschneidung an sich wird von einem jüdischen Beschneider, einem Mohel, durchgeführt, der eigens dafür ausgebildet wurde. Ob die „Brit Mila“, die religiöse Beschneidung, mit oder ohne Betäubung stattfinden soll, ist nicht klar geregelt.

Diskussion Kreuz und Quer: "Der Kampf um die Vorhaut"

ORF / Marcus Marschalek

Rabbiner Schlomo Hofmeister sieht die Beschneidung als existenziell für die Religionszugehörigkeit.

Laut Hofmeister dauere die traditionelle Beschneidung jedoch so kurz – rund sieben Sekunden – dass der Bub fast nichts merke. Die Verwendung von Anästhesie wäre also ein größeres Trauma als die Beschneidung an sich.

Abraham der erste beschnittene Mensch

Im Gegensatz zum Judentum sei die Anästhesie aber im Islam erlaubt und werde sogar empfohlen, so der muslimische Religionspädagoge Ednan Aslan. Im Koran wird die Beschneidung nicht explizit erwähnt, jedoch wird sie als Symbol der Muslime anerkannt. Nach der Überlieferung war Abraham, der im Islam als einer der wichtigsten Propheten gilt, der erste beschnittene Mensch – er soll im Alter von 99 Jahren eine Beschneidung bei sich selbst durchgeführt haben. Der Prophet Mohammed soll sogar schon beschnitten zur Welt gekommen sein.

Großes Fest anlässlich der Beschneidung

Im islamischen Recht gilt allgemein, dass ein Schmerz zufügender Eingriff zu befürworten sei, wenn der Nutzen größer ist als der durch den Eingriff hervorgerufene Schaden. Die Beschneidung folgt diesem Prinzip. Es gibt kein bestimmtes Alter für die Durchführung, meistens werden Kinder aber im Alter von sieben bis zehn Jahren beschnitten. In manchen Ländern, zum Beispiel in der Türkei, wird zu diesem Anlass eine große Familienfeier veranstaltet, die der Wichtigkeit einer Hochzeit nahekommt.

Diskussion Kreuz und Quer: "Der Kampf um die Vorhaut"

ORF / Marcus Marschalek

Psychotherapeutin Ulrike Paul warnt, dass die Beschneidung das sexuelle Empfinden beeinträchtigen kann.

Psychotherapeutin Ulrike Paul warnt aber davor, dass Buben die Beschneidung oft als körperliche Verletzung betrachten würden und leiden müssten, während andere dieses Fest feiern.

Beschneidung schon im alten Ägypten

Die älteste bekannte Darstellung einer Beschneidung ist ein ägyptisches Relief aus dem Jahr 2420 v. C. Einige Forscher vermuten, dass bei der Beschneidung eines Mannes symbolisch die Häutung der Schlange imitiert wurde, denn für die alten Ägypter war die Schlange ein unsterbliches Tier, weil sie ihre Haut abwerfen und sich damit immer wieder erneuern konnte. Der Ritus der Beschneidung sollte also wahrscheinlich die menschliche Seele unsterblich machen.

Im 18. Jahrhundert wurde in Europa die Beschneidung aus sexualfeindlichen Gründen befürwortet. So empfahl der Schweizer Arzt Samuel Tissot beispielsweise die Beschneidung von Buben und Mädchen als eine Maßnahme gegen Masturbation. Heute wird die Zirkumzision von erwachsenen Männern von der WHO sogar als Maßnahme im Kampf gegen die Ausbreitung von HIV in afrikanischen Hochrisikogebieten empfohlen.

Warten, bis das Kind selbst entscheiden kann

Paul vergleicht diesen irreversiblen Eingriff mit Geschlechtsumwandlungen bei beidgeschlechtlich geborenen Kindern: Man würde auch hier warten, bis das Kind alt genug sei, die Entscheidung selbst zu treffen, man könne doch auch mit der Beschneidung warten, bis das Kind entscheidungsfähig ist. Dies kommt für Rabbiner Hofmeister jedoch nicht in Frage, da es dem höchsten Gebot der Thora widersprechen würde. Außerdem wäre es dem Kindeswohl nicht förderlich, da das Kind mit dem Alter mehr von der Beschneidung mitbekommt.

Diskussion Kreuz und Quer: "Der Kampf um die Vorhaut"

ORF / Marcus Marschalek

Rechtsexperte Gerhard Luf verteidigt den Eingriff als geringfügig und risikoarm.

Auch Rechtsexperte Gerhard Luf stuft den Eingriff als geringfügig und risikoarm ein. Das wichtigste sei das Kindeswohl, und zum Kindeswohl zähle auch die religiöse Erziehung.

TV-Tipp:

kreuz und quer Der Kampf um die Vorhaut, Di. 28. 08. 2012,
ORF 2, ca. 22.30 Uhr

Mehr dazu: