Der Diener, der zum Dieb wurde

Nie zuvor musste sich eine Person, die dem Papst derart nahe stand, so schwerwiegenden Vorwürfen stellen wie der Ex-Kammerdiener Paolo Gabriele, der am Samstag verurteilt wurde.

Im Prozess um die „Vatileaks“-Enthüllungen ist der Ex-Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der Papst könnte seinen ehemaligen Diener begnadigen. Ein Gefängnis, das auf dauerhafte Häftlinge eingerichtet ist, gibt es im Vatikan nicht - Gabriele müsste seine Haftstrafe auf italienischem Staatsgebiet absitzen. Der Angeklagte sagte in seinem Schlusswort, er habe aus tiefer Liebe zur Kirche und zum Papst gehandelt. „Ich fühle mich nicht als Dieb“, berichteten vom Vatikan zugelassene Prozessbeobachter am Samstag nach der Verhandlung.

In den Tagen vor der Verhandlung wegen schweren Diebstahls hatten Familienangehörige und Freunde wegen des Zustands des Angeklagten ihre Sorge ausgedrückt: „Paolo ist psychisch sehr belastet.“ Er begreife immer mehr, dass seine Tat seine ganze Familie belastet. „Sie zahlt einen hohen Preis für Gabrieles Handeln“, zitierte die italienische Nachrichtenagentur ANSA einige mit dem Ex-Kammerdiener vertraute Personen.

Gabriele sorge sich vor allem um seine drei Kinder. Der Medientrubel um den Fall wirke sich negativ auf das Familienleben aus. „Die Familie verliert aber nicht die Hoffnung. Sie hofft, dass der Prozess nicht zu lang dauern wird, und vertraut in eine Begnadigung des Heiligen Vaters“, berichtete ein Freund Gabrieles.

Kein Diebstahl, sondern „Unordentlichkeit“?

In der Wohnung Gabrieles hatte die Polizei Geheimdokumente aus den Räumen des Papstes und einen Scheck über 100.000 Euro und einige Wertgegenstände gefunden. Laut den Dokumenten der vatikanischen Ermittler begründete Gabriele den Umstand, dass sich Geschenke des Papstes in seiner Wohnung befanden, mit seiner "Unordentlichkeit“. Oft sei er vom Papst beauftragt worden, seine Geschenke in ein Lager zu bringen. In Bezug auf den Vorwurf des schweren Diebstahls sei er unschuldig, hatte Gabriele während des Prozesses gesagt. Er gab jedoch zu, dass er das Vertrauen des Papstes missbraucht habe, den er „wie ein Sohn“ liebe.

Kammerdiener Paolo Gabriele hält einen Schirm über Papst Benedikt XVI.

dapd/AP/Luca Bruno

Paolo Gabriele war stets an der Seite des Papstes

Zudem habe er vom Privatsekretär des Papstes, Georg Gänswein, Bücher bekommen, die dem Heiligen Vater geschenkt wurden. Er habe eine Ausgabe der „Aeneis“ aus dem 16. Jahrhundert in seiner Wohnung gehabt, weil sein Sohn sich damit im Schulunterricht befasste, berichtete Gabriele. Auch sein Verteidiger versuchte, die Vorwürfe zu entkräften. Der Anwalt verwies darauf, dass es mitunter zu den Aufgaben seines Mandanten gehört habe, Geschenke für Benedikt XVI. in ein dafür vorgesehenes Lager zu bringen.

Dokumente über Korruption und Misswirtschaft

Bleiben noch die Dutzenden Dokumente, zumeist Briefe, die der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi von Gabriele erhalten hatte und im Mai dieses Jahres in seinem Buch „Sua Santita“ veröffentlichte. In den Schriftstücken geht es unter anderem um Vorwürfe der Korruption und des schlechten Managements, etwa zu umstrittenen Geschäften der Vatikan-Bank IOR - innervatikanische Grabenkämpfe werden deutlich. Ein „richtiger“ Skandal ging sich mit dem veröffentlichten Material nicht aus. Der eigentliche Skandal ist Gabrieles Verrat selbst.

Er habe dem Papst und der Kirche helfen wollen, auf den richtigen Weg zurückzufinden, gab Gabriele damals als Begründung für seine Handlungen zu Protokoll. Unmut und Frustration über Missstände und Korruption im Vatikan hätten ihn zu seiner Tat bewogen. Er habe der Kirche, dem Papst eigentlich etwas Gutes tun wollen. Unter anderem über Steuerprobleme, sexuellen Missbrauch von Kindern und Verhandlungen mit „Kirchenrebellen“ wollte Gabriele den Papst demnach in Kenntnis setzen.

„Heilsamer Schock“ für Kirche

Er sei sicher gewesen, dass ein Schock, auch über die Medien, heilsam sein könnte, um die Kirche wieder auf den richtigen Weg zu bringen, so der Kammerdiener. Er habe den Eindruck gehabt, der Papst werde falsch informiert. Der Kammerdiener versicherte, dass er kein Geld oder andere Vorteile für die Weitergabe der Dokumente erhalten habe.

Papst Benedikt XVI. und Kammerdiener Paolo Gabriele

dapd/Domenico Stinellis

Gabriele habe den Papst „sehr geliebt“, gab ein hoher Geistlicher an

Nach Gabrieles Festnahme sagte ein ranghoher Geistlicher, der sein Beichtvater war, in einem Interview, der Kammerdiener habe den Papst „so sehr geliebt“, dass er ihn „niemals verraten“ hätte. Laut Ermittlungsakten begründete Gabriele sein Handeln gegenüber dem Staatsanwalt damit, dass der „Heilige Vater nicht korrekt informiert“ gewesen sei über die Geschehnisse um ihn herum.

„Verbindungsmann des hl. Geistes“

Psychiatrische Gutachten Gabrieles kamen zu dem Schluss, der 46-jährige Vater dreier Kinder habe seelische Probleme. Das berichtete auch Radio Vatikan. Dennoch ging der Richter von einer Schuldfähigkeit aus. Im Rahmen der Ermittlungen gab der Ex-Diener laut Polizeiprotokoll an, er habe sich als „Verbindungsmann des heiligen Geistes“, gegen das „Böse und die Korruption“, die „überall“ seien, erheben wollen, berichtete ANSA.

„Paoletto“, so Gabrieles Spitzname unter Vertrauten, gilt als sehr fromm und wurde vor der Affäre als überaus diskret beschrieben. Als Kammerdiener Benedikts XVI. stand er diesem seit 2006 von früh bis spät zur Verfügung. Er half dem Papst beim Aufstehen und Anziehen und brachte ihn nach dem Abendessen zu Bett. Er war als „Maggiordomo“ gleichzeitig dessen Kellner, Diener und Hausmeister. Auch bei des Papstes Reisen und Fahrten im „Papamobil“ war Gabriele stets an dessen Seite.

„Unruhe, Anspannung, Wut“

Im Ermittlungsakt kamen jedoch auch Experten zu Wort, die ein beunruhigendes Bild von der Persönlichkeit des Kammerdieners zeichnen. So ist von einer „schweren psychischen Störung, die von Unruhe, Anspannung, Wut und Frustration gekennzeichnet ist“, die Rede. Insgesamt weisen die Akten auf einen „tragischen Widerspruch“ zwischen „der Absicht Gabrieles, dem Papst Gutes zu tun“, und „der Schwere der begangenen Taten“ hin. Laut dem in die Affäre verstrickten Informatiker Claudio Sciarpelletti, der ebenfalls angeklagt wurde, hatte Gabriele zudem „eine schwere Kindheit“.

religion.ORF.at

Links: