NGOs kämpfen für Kinderrechte

Caritas, Diakonie, Amnesty International und SOS-Kinderdorf nehmen die Politik beim Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen in die Pflicht. Anlässlich des Asylgipfels am Dienstag fordern die NGOs eine bessere Unterbringung dieser Kinder.

„Kinder gehören nicht in ein Großlager!“ So lautet die zentrale Forderung einer Initiative für Kinderrechte, die am Dienstag im Rahmen einer Demonstration auf die Situation minderjähriger Flüchtlinge in Österreich aufmerksam gemacht haben. Dem 2010 gegründeten Bündnis „Gegen Unrecht - Kinder gehören nicht ins Gefängnis!“ gehören unter anderem Caritas, Diakonie, Amnesty International und SOS-Kinderdorf an.

Video von der Demonstration am Ballhausplatz in Wien

Derzeit befänden sich rund 600 Minderjährige in der Flüchtlings-Erstaufnahmestelle in Traiskirchen, die dortigen Lebensbedingungen seien gerade für Heranwachsende „schockierend“, so die NGOs. Im Rahmen der Kundgebung am Ballhausplatz wurde mit leeren Schultaschen auf den fehlenden Zugang zum Schulbesuch für unbetreute minderjährige Flüchtlinge hingewiesen.

Demo Kinderrechte

ORF/Marcus Marschalek

Leere Schultaschen sollen auf die fehlende Möglichkeit des Schulbesuches für Flüchtlingskinder aufmerksam machen

Kinder durchschnittlich 150 Tage in Erstaufnahmestelle

„Unbegleitete Jugendliche unter 14 Jahren dürfen aufgrund eines Beschlusses des Koordinationsrates gar nicht in die Erstaufnahmestelle aufgenommen werden“, so Heinz Fronek, Experte für Kinderflüchtlinge der Asylkoordination Österreich gegenüber der APA. Wenn Verantwortliche behaupteten, dass die Unterbringung ohnehin nur für wenige Tage erfolge, widerspreche dies der Realität. „Unsere Erhebungen haben ergeben, dass die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahmestelle bei unbegleiteten Kindern extrem lange ist - im Durchschnitt 150 Tage“, erklärte Fronek.

„Für die Rettung von Problembanken haben wir sechs Milliarden Euro vorgesehen und es kann nicht sein, dass diese sechs Milliarden für die Banken da sind, dass aber 400 Minderjährige ein Problem darstellen“, sagte die Nationalratsabgeordnete Alev Korun (Grüne) im Gespräch mit religion.ORF.at. Hier sehe man auch die Prioritäten der Bundesregierung, so die Politikerin, die an der Kundgebung teilnahm.

Einigung auf erste Schritte

Der Bund und die Bundesländer diskutierten am Dienstag bei einem „Asylgipfel“ einmal mehr über die Unterbringung von Flüchtlingen. Nur Wien und Niederösterreich nehmen die eigentlich vereinbarten Kontingente auf. Nun einigten sich die Vertreter von Bund und Ländern darauf, dass die anderen Bundesländer bis Ende November 1.000 Asylwerber aus dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen aufnehmen sollen. Ziel ist es, dass die Länder Privatquartiere schaffen. Sollte das nicht überall möglich sein, so wird der Bund mit Quartieren - etwa Kasernen - aushelfen.

Verteilt werden sollen die 1.000 Asylwerber entsprechend der bereits bestehenden Quote. Einige Länder werden hier mehr beizutragen haben, gab Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zu verstehen. Die vereinbarten Quoten müssen dem unterschriebenen Memorandum zufolge in jedem Fall mit 88 Prozent erfüllt werden, sagte die Ministerin. Sie verwies auf die Steiermark, die die Quote aktuell mit 94 Prozent erfüllt, „das muss auch in allen anderen Ländern gehen“.

Jugendliche: Asylanträge steigen

Heuer gab es bis Ende September 12.510 Asylanträge, in derselben Periode im Vorjahr waren es 10.356. Vor allem die Anzahl der Asylanträge von unbegleiteten Jugendlichen steigen unaufhörlich. Wurden im Vorjahr 871 Asylanträge aus dieser Personengruppe bis Ende September eingebracht, waren es heuer in diesem Zeitraum bereits 1.289.

Landau: „Flucht ist kein Verbrechen“

Der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau formulierte als Hauptforderungen des Bündnisses neben der Erfüllung der mit dem Bund vereinbarten Quote, dass die dramatisch unterdotierten öffentlichen Aufwendungen für deren Betreuung an die Inflationsrate angepasst werden müssten.

Landau wandte sich gegen politische „Sonntagsreden“, wonach Kinder der größte Schatz in der Gesellschaft seien und alle Kinder gleiche Rechte hätten. Die Realität der Kinderflüchtlingsbetreuung in Österreich sei eine andere: „Tag für Tag passiert Unrecht.“ Immer noch würden Asyl- und Sicherheitsthemen miteinander vermischt, Flucht sei jedoch „kein Verbrechen“.

Wütend und traurig

„Lassen Sie sich nicht von Hetzern vor sich hertreiben“, appellierte Landau an die verantwortlichen Politiker. Kleine Flüchtlingskinder würden „in die Geiselhaft politischer Machtspiele genommen“, gesetzlich verankerte Verantwortung werde nicht wahrgenommen. Das stimme ihn nachdenklich und traurig, mache ihn aber auch wütend, so Landau. Der Wiener Caritas-Chef wandte sich gegen Medienberichte, wonach die Caritas mehr Geld für die Flüchtlingsbetreuung verlange. Das sei eine unzulässige Verkürzung des Umstandes, dass die Tagsätze seit 2004 nicht valorisiert wurden.

Für erwachsene Flüchtlinge sei nun eine Inflationsanpassung vorgesehen, allerdings gebe es gegenüber 2004 nur elf Prozent Erhöhung - in einem Zeitraum, da die Inflation 20 Prozent betrug. Kinder seien dem Staat offenbar noch weniger wert, hier betrage die Erhöhung der Betreuung minderjähriger Flüchtlinge gar nur drei Prozent, kritisierte Landau.

„Kindern wird ihre Zukunft gestohlen“

Die triste Lage der rund 600 minderjährigen Flüchtlinge in Traiskirchen - einige davon unter 14 Jahren - schilderte Michael Chalupka, Direktor der Diakonie. Die Betroffenen seien seit Monaten ohne Eltern, die ihnen Schutz und Orientierung geben könnten, hätten keinen geregelten Tagesablauf, keine Möglichkeit, in die Schule zu gehen oder auch nur Deutsch zu lernen, sie müssten sich stundenlang bei der Mahlzeitausgabe anstellen.

Demo Kinderrechte. Michael Chalupka

ORF/Marcus Marschalek

Diakonie-Direktor Chalupka fordert gravierende Änderungen im Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen

Diese aktuelle „unerträgliche Situation“ widerspreche ganz klar der Kinderrechtskonvention, die nicht nach Nationalität oder Aufenthaltsstatus unterscheidet. Man habe es geschafft, die Kinderrechte in der Verfassung zu verankern, erklärt Chalupka im Gespräch mit religion.ORF.at. Jetzt würde die Verfassung aber missachtet. Diesen Kindern würden „Wochen und Monate ihres Lebens gestohlen“ - und damit ihre Zukunft, so Chalupka.

„Menschenrechte mit Füßen getreten“

Unverständnis dafür, dass ein Flüchtlingskind nur die Hälfte der Zuwendungen eines bedürftigen Kindes aus Österreich bekommt, äußerte Christian Moser, Geschäftsführer von SOS Kinderdorf Österreich: „Braucht ein zehnjähriges Kind aus Afghanistan nur halb so viel zu essen, nur halb so viel Kleidung, nur halb so viel Schulbildung wie ein Zehnjähriger aus Österreich?“ Es dürfe nicht vom Pass abhängen, wie viel Unterstützung Kinder erhalten, so Moser.

Auch Amnesty-Generalsekretär Heinz Patzelt sieht in Österreichs Umgang mit Kinderflüchtlingen „Menschenrechte mit Füßen getreten“. In einer Presseunterlage zum NGO-Protest nannte es Patzelt einen „Skandal, dass mit den Allerschwächsten ein Ping-Pong-Spiel geführt wird“, anstatt ihnen in allen Bundesländern adäquate Unterkünfte und Betreuung zu bieten.

NGOs: Erneuter Protestschrei erforderlich

Im Herbst 2010 hatten sich Caritas, Diakonie, SOS-Kinderdorf und Amnesty International zur Initiative „Gegen-Unrecht: Kinder gehören nicht ins Gefängnis!“ zusammengeschlossen. Anlass war, dass zwei kleine Zwillingsmädchen von ihrer kranken Mutter getrennt und brutal abgeschoben wurden.

Ein Aufschrei der Öffentlichkeit war die Folge. Gemeinsam mit über 116.000 Menschen und mehr als 75 Organisationen „wurde sowohl die Einführung der Kinderrechte in die Verfassung erreicht, als auch ein humaner und rechtsstaatlicher Umgang mit Flüchtlingen und speziell Flüchtlingskindern gefordert“, wurde bei der Pressekonferenz am Montag erinnert. Einiges habe die Zivilgesellschaft gemeinsam zum Positiven verändern können. Nun bestehe erneut Bedarf an humanitären Verbesserungen im Asylwesen.

religion.ORF.at/APA

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