Metropolit von Aleppo: „Das ist kein Bürgerkrieg“

Der syrisch-orthodoxe Metropolit von Aleppo, Mar Gregorios Johanna Ibrahim, sieht in dem Konflikt in seiner Heimat einen Kampf zwischen Gruppen, hinter denen auch ausländische Interessen stehen.

„Das ist kein Bürgerkrieg“, sagte er im Gespräch mit Journalisten in Wien. In dem „schmutzigen Krieg innerhalb von Syrien“ werde es „auf beiden Seiten nur Verlierer“ geben, sagte Mar Gregorios, der zugleich vor einer ethnischen oder religiösen Spaltung Syriens warnte und sich trotz allen Leides gegen einen gezielten Exodus der Christen aus ihrer historischen Heimat aussprach. Der Erzbischof wandte sich jedoch gegen jede Intervention des Auslands.

Der syrisch-orthodoxe Metropolit von Aleppo, Mar Gregorios Yohanna Ibrahim

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Der syrisch-orthodoxe Metropolit von Aleppo, Mar Gregorios

„Aleppo ist heute eine tote Stadt“, schilderte der Metropolit die „traurige“ Lage in der nordsyrischen Metropole. Ein Drittel der Stadt sei bereits zerstört, auf beiden Seiten seien Kämpfer „bereit, einander zu töten“. In diese Kämpfe gerieten die Christen, die sich weiter mehrheitlich herauszuhalten versuchten. „Ein Viertel bis ein Drittel der Christen hat inzwischen Aleppo verlassen“, so der Metropolit.

In der Stadt Homs seien bereits alle Christen weg. Kirchen und Moscheen Aleppos seien geschlossen. Das Schuljahr konnte nicht beginnen, da Flüchtlinge aus zerstörten Stadtteilen auf dem Uni-Gelände und in Schulen lagern. Anfangs seien laut Gregorios einfache syrische Bürger Ziele von Übergriffen geworden, jetzt würden Christen oft aus Bussen und Autos herausgeholt und gegen hohes Lösegeld (bis zu 60.000 Euro) gekidnappt.

Feuerpause und humanitäre Hilfe nötig

Der orthodoxe Kirchenführer sieht drei Bedingungen, die erfüllt werden müssten, um für Syrien und seine Bewohner eine Perspektive zu eröffnen. Feuerpause, humanitäre Hilfe und Verhandlungen. Feuerpause und humanitäre Hilfe seien die Voraussetzung für Verhandlungen zwischen den rivalisierenden Gruppen. Zur Opposition sagte der Metropolit, in der neu gebildeten Koalition fänden sich auch einige Christen: „Das ist gut so.“ Wenn es dieser Koalition gelingen sollte, Stabilität zu schaffen, wäre das gut für die Zukunft Syriens.

Die Zahl der ausländischen, vor allem islamistischen Kämpfer, von denen man meist nicht wisse, ob sie ins Land geholt wurden oder auf eigene Faust in den Kämpfen mitmischen, lasse sich nicht beziffern, sagte der Erzbischof. Sie kommen aus Afghanistan, aus Libyen, aus dem Irak und aus der Türkei. Christen würden bedroht und beleidigt. Etlichen der Kämpfer soll vor ihrem Syrien-Einsatz auch gesagt worden sein, sie würden nach Palästina geschickt um dort gegen die Juden zu kämpfen.

Aussiedlung der Christen keine Option

Für das künftige Syrien wünscht sich der orthodoxe Kirchenführer eine Verfassung, die die ethnischen und religiösen Gruppen schützt: „Niemand beschützt die Christen.“ Drei Priester seien bereits getötet worden. Ein Zusammenbrechen Syriens würde nicht lebensfähige Gebilde schaffen. Mar Gregorios schätzt die Zahl der syrischen Binnenflüchtlinge generell auf circa zwei Millionen, rund 400.000 seien ins Ausland geflüchtet. Die Fluchtwege der Christen führten meist in die Türkei, nach Jordanien und in den Libanon. Viele Menschen stünden vor einem Winter ohne Unterkunft, Wasser und Nahrung.

Gregorios ist aber auch gegen eine Aussiedlung der Christen. Er habe in den USA und in Deutschland Gespräche geführt, und er „rieche das irakische Szenario“ (mit gezielter Aussiedlung aller Christen, geplant von USA und Briten). „Wir als Kirchenführer ermutigen den Exodus nicht. Wir fühlen uns als wesentlicher Bestandteil Syriens.“ Auch er habe Angst, doch: „Ich muss bei meiner Herde bleiben.“

Syrien nicht mit Ägypten und Libyen vergleichbar

Den beiden alewitischen Präsidenten aus der Assad-Familie stellt Mar Gregorios ein gutes Zeugnis aus. Syrien sei „ein Modell für Koexistenz“ gewesen, die Christen konnten Kirchen und Schulen bauen. Ab März 2011 änderte sich das dramatisch. Der Fall Syrien sei aber nicht mit Ägypten oder Libyen vergleichbar. Die Haltung der Türkei hingegen kritisierte der Bischof. „Bis 2011 war die Türkei unser Bruder.“ Er war mit dem türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan im Vorjahr zusammengetroffen, zu Syrien habe dieser „kein Wort“ gesagt. Die Türkei hätte eine Vermittlerrolle übernehmen können, habe aber im Gegenteil eine negative Rolle gespielt, so der Bischof sinngemäß.

Was er sich von Österreich erwarte? Ja, Österreich wäre als neutrales Land und als Land, das den Dialog zwischen den Religionen pflege, für eine Art Vermittlerrolle geeignet, sagte der Metropolit. „Wir brauchen für Syrien einen Oslo-Prozess“ (wie für Nahost-Israel-Palästina, Anm.). Staatssekretär Reinhold Lopatka (ÖVP) hatte bei einer Unterredung mit Mar Gregorios am Vortag eine Erhöhung der humanitären Hilfe für Syrien angekündigt und zugleich die Bildung der syrischen Oppositionskoalition in Katar begrüßt.

APA

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