Muslimbrüder in Ägypten: Starke Kraft unter Druck

Ägyptens Präsident Mohammed Mursi sieht sich in den letzten Wochen vermehrt Kritik ausgesetzt. Liberale und laizistische Kräfte werfen ihm vor, eine islamische Diktatur errichten zu wollen. Aber auch von religiös-rechter Seite stehen der Präsident und die Muslimbruderschaft unter Druck.

Hunderttausende demonstrieren in ganz Ägypten gegen Mursi. Ein halbes Jahr nach seiner Wahl bringen die massiven Proteste gegen seinen Führungsstil den Übergangspräsidenten immer stärker in Bedrängnis.

Druck von links und rechts

Während der Massenproteste gegen Präsident Hosni Mubarak Anfang 2011 hielt sich die Muslimbruderschaft eher im Hintergrund. In der Opposition zu Mubarak standen sie aber auf der Seite der linken und liberalen Revolutionäre. Jetzt, da eine neue Verfassung geschrieben wird, haben sich die Fronten verschoben.

Präsident Mursi

dapd / Maja Hitij

Mohammed Mursi war nur der Ersatzkandidat der Muslimbrüder

Die Liberalen und Laizisten misstrauen Mursi und der Muslimbruderschaft. In Anbetracht der geplanten Verfassungsänderungen beschwören sie das Schreckgespenst einer islamistischen Diktatur der Muslimbrüder herauf und werfen dem Präsidenten vor, Ägyptens Weg zur Demokratie zu verbauen.

Neben diesen Angriffen haben Mursi und die Muslimbrüder aber auch mit Druck von rechts zu kämpfen. Mit der Partei des Lichts stellen die radikalislamischen Salafisten im Parlament die zweitstärkste Kraft. Die vor allem von Saudi-Arabien finanzierte Bewegung trägt den Kurs der Muslimbruderschaft zwar weitgehend mit. Ihre Anhänger machen aber kein Hehl daraus, dass ihnen die Schritte Mursis im Grunde nicht weit genug gehen. Ihr Ziel ist nicht nur die Verankerung der Scharia in der Verfassung, sondern die Durchsetzung eines Islams salafistischer Prägung nach dem Vorbild Saudi-Arabiens.

Heterogene Bewegung

Zum Druck von außen kommen Differenzen innerhalb der Muslimbruderschaft. "Es stimmt zwar, dass der Kern der Führung der Muslimbruderschaft aus modernen Menschen besteht, die der oberen Mittelschicht angehören. Nichtsdestotrotz hat die Bewegung ihre Basis in rückständigen Regionen, wo sich die Wut gegen Modernisierung mit konservativen Tendenzen mischt“, so Tamer Wakih, ein Kommentator der unabhängigen Kairoer Tageszeitung „Al-Masria al-Jom“.

Proteste Tahir Platz

REUTERS / Asmaa Waguih

Am Dienstagabend demonstrierten Hunderttausende gegen Mursi und die Muslimbrüder

Seit ihrer Gründung im Jahr 1928 durch Hassan al-Banna war die Muslimbruderschaft immer wieder Veränderungen unterworfen. In den 1930er Jahren politisierte sich die ursprünglich religiöse Gesellschaft zusehends. Sie setzte sich für eine Rückkehr zum ursprünglichen Islam und die Errichtung einer islamischen Ordnung ein. In den 50er Jahren stellte sich die Bruderschaft teilweise mit Gewalt gegen Präsident Gamal Abdel Nasser und wurde von diesem verboten. Die Muslimbrüder engagierten sich trotz dieses Verbots ab den 70er Jahren wieder verstärkt in der Politik. Ein starkes soziales Engagement sicherte ihnen zusätzlich den Rückhalt in der Bevölkerung.

Gottesstaat vs. Demokratie

Vor der Revolution gegen Mubarak war in der Organisation vermehrt eine Transformation zu beobachten. Während ältere Mitglieder eher eine Theokratie als System bevorzugten, forderten bekannte junge Vertreter überwiegend die Einführung einer Demokratie mit islamischen Elementen. Das führte im Umfeld der ägyptischen Revolution zu Unstimmigkeiten innerhalb der Bewegung.

Als einer der konservativen Hardliner vor allem im Hinblick auf Israel innerhalb der Bruderschaft gilt Mohammed Badia. Im Jänner 2010 wurde der Veterinärmediziner zum Oberhaupt („Murschid“) der Muslimbruderschaft gewählt. Wegen seiner politischen Aktivitäten saß Badia insgesamt mehr als zwölf Jahre im Gefängnis. Er verbrachte einige Jahre im Jemen, bevor er 1996 in das oberste Gremium der damals noch verbotenen Muslimbruderschaft aufstieg.

Oheraupt Muslimbrüder Badia und Hamas-Anführer  Haniyeh

REUTERS / Mohamed Abd El Ghany

Ismail Hanija, einer der Führer der Hamas, begrüßt Mohammed Badia, Oberhaupt der Muslimbrüder

Übergabe der Macht

Anders als Präsident Mursi, der immer wieder einen konzilianten Ton anschlägt, wirkt Badia oft schroff. Beschönigungen und Zwischentöne sind nicht seine Sache. Als Mursi vor einigen Tagen die Waffenruhe zwischen der Hamas-Bewegung und Israel vermittelte, ließ Badia ausrichten, dass Friedensabkommen mit Israel Täuschungsmanöver seien, denn „der Feind versteht nur die Sprache der Gewalt“.

In der aktuellen Diskussion über die neue Verfassung steht die Muslimbruderschaft geschlossen hinter „ihrem“ Präsidenten. Der verspricht seine Macht, die er durch die Zurückdrängung von Justiz und Militär angesammelt hat, mit der Wahl im kommenden Frühjahr an das Volk zurückzugeben. Es bleibt die Frage, ob auch alle in den Reihen der Muslimbrüder dieses Vorhaben teilen.

religion.ORF.at / APA / dpa