Neue Hilfe in Salzburg: Obdachlose werden Mieter

Das Projekt „Housing First“ des Vinziwerkes will in Salzburg Obdachlose in neuen „eigenen“ Wohnungen betreuen und so den Aussteigern einen Wiedereinstieg in die Gesellschaft ermöglichen. Am Anfang des Hilfssystem soll dabei ein eigener Wohnraum stehen.

Es sind ungefähr sechs Quadratmeter. Die Wände sind aus Stein. Die kleinen Fensteröffnungen sind dürftig mit alten Decken verhängt. Die Kälte findet trotzdem ihren Weg ins Innere. Ein altes Bettgestell mit schmutziger Matratze füllt den Raum beinahe bis zur Gänze aus. Am Boden bleibt gerade noch Platz für Konservendosen, einen Gaskocher, ein bisschen Kleidung und altes Gerümpel. Sanitäre Einrichtungen sind in der Umgebung keine vorhanden. Hier, in diesem Turm der alten Verteidigungsanlage am Kapuzinerberg in Salzburg, hat bis vor zwei Wochen noch Johann Lienbacher gelebt. Die letzten sechs Jahre lang war das sein Zuhause.

Das Projekt "housing first" in Salzburg

ORF / Marcus Marschalek, Irina Oberguggenberger

Einer der Türme der alten Verteidigungsanlage am Kapuzinerberg in Salzburg. Johann Lienbacher hat hier sechs Jahre lang ohne Sanitäreinrichtungen und Heizung gelebt.

„Drehtürkarrieren“

Viele Obdachlose scheitern derzeit immer wieder beim Versuch, weg von der Straße zu kommen. Von der Notschlafstelle übersiedeln sie in ein Pensionszimmer und von dort in eine Übergangswohnung. Es folgen ein paar Monate Unterbringung im „Langzeitwohnen“.

Weil es dort meist nicht klappt landen sie wieder in einer Notschlafstelle und am Ende auf der Straße. So oder ähnlich verlaufen derzeit immer wieder „Wohnungslosenkarrieren“ in Salzburg. „Housing First“ möchte das ändern.

Eine eigene Ein-Zimmer-Wohnung

Und jetzt ist plötzlich alles ganz anders. Johann Lienbacher hat eine Ein-Zimmer-Wohnung gemietet. Laut Vertrag ist er der Hauptmieter. Das Bad, der Boden und die Fenster sind neu renoviert. In ein paar Tagen soll auch eine Küchenzeile eingebaut werden. Kaum vorstellbar, dass dieser alte, stolze Mann mit seinem aufrechten Gang und seinem gepflegten Äußeren bis vor zwei Wochen noch obdachlos war.

Dank des Sozialprojekts „Housing First“, das darauf abziehlt Menschen von der Straße direkt in eine eigene Wohnung zu bringen und sie dort zu betreuen, hat sich das in kürzester Zeit geändert. Johann Lienbacher hat Anfang November den Sozialarbeiter Anton Waltl kennen gelernt, der sich auf die Suche nach Obdachlosen gemacht hat, die für das Projekt geeignet sind. Nach ein paar Gesprächen folgte bereits der gemeinsame Gang zum Wohnbauamt, das Ausfüllen der Formulare und die Schlüsselübergabe.

Obdachlosenprojekt "housing first" in Salzburg.

ORF / Marcus Marschalek, Irina Oberguggenberger

Mithilfe der Betreuung durch Anton Waltl vom Projket „Housing First“ ist Johann Lienbacher vom Obdachlosen zum selbstständigen Wohnungsmieter geworden.

Geld weg, Freundin weg, Wohnung weg

Allein hätte er das nie geschafft, sagt Johann Lienbacher im Gespräch mit religion.ORF.at. Er war lange Zeit berufstätig, hat mit seiner Freundin in einer drei-Zimmer-Wohnung gewohnt. Durch einen Kredit der Freundin, den er unüberlegt unterschrieben hatte, hat sich sein Leben dann schlagartig geändert. Er konnte nicht mehr bezahlen, ihm wurde alles zu viel.

Bei einem Spaziergang auf dem Kapuzienerberg hat er dann den kleinen Turm entdeckt. Seine Freundin war zu diesem Zeitpunkt schon lange verschwunden. Von einem Tag auf den anderen zog Johann in das „Notquartier“. Die Kurzschlussaktion wurde zur Dauerlösung. Essen und Kleidung bekam er immer wieder von den verschiedensten Leuten geschenkt. Probleme mit der Gesellschaft habe er nie gehabt. Das schlimmste seien aber die Winter gewesen, die Kälte beinahe unerträglich.

Obdachlosenprojekt "housing first" in Salzburg.

ORF / Marcus Marschalek, Irina Oberguggenberger

Nach sechs Jahren Leben auf der Straße kann sich Johann Lienbacher seit zwei Wochen dem Einrichten seiner kleinen Mietwohnung in Salzburg widmen.

Obdachlosenprojekt "housing first" in Salzburg

ORF / Marcus Marschalek, Irina Oberguggenberger

Von VinziBus bis VinziRast

Wolfgang Pucher wurde 1973 zum Pfarrer der St. Vinzenz Kirche in Graz berufen. 1991 startete er die Initiative VinziBus, die bis heute täglich 70 Obdachlose mit Essen versorgt. 1993 folgte die Gründung des VinziDorfes als Dauerherberge für chronisch obdachlose Menschen.

Bis heute entstanden über 30 weitere Werke in Österreich und darüber hinaus - darunter VinziBett, VinziHaus, VinziHelp, VinziMarkt und VinziRast - in denen insgesamt 450 Personen Unterkunft finden und täglich 500 Personen mit Essen versorgt werden können.

„Housing First“ ist mit Unterstützung des Essl-Sozial-Preises das jüngste Projekt von Pfarrer Wolfgang Pucher.

Erfolgskonzept „Housing First“

„Housing First“ kommt ursprünglich aus Amerika und hat sich dort mit einer niedrigen Rückfallquote bewährt. In Österreich wurde das Projekt von Pfarrer Wolfgang Pucher, dem Gründer der Vinzi-Werke, initiiert, der dafür mit dem Essl-Sozial-Preis ausgezeichnet wurde.

Der große Unterschied zum betreuten Wohnen ist, dass die Betroffenen selbst den Mietvertrag unterschreiben und damit alleinige Mieter sind. Sie müssen selbst Verantwortung tragen und sich - mithilfe der Sozialarbeiter - selbst organisieren. Mittlerweile sind vier ehemals Obdachlose in Wohnungen untergebracht, bis Ende des Jahres soll ein weiterer dazu kommen.

Die Summe des Essl-Sozial-Preises, eine Million Euro, will Pfarrer Pucher in den nächsten Jahren in den weiteren Ausbau des „Housing First“ Projekts investieren. Unterstützt wird er dabei von der Stadt Salzburg. Erfolgszahlen aus Bosten (USA) stimmen zuversichtlich - dort vermeldet man eine Erfolgsquote von 86 Prozent. Das heißt 86 von 100 Obdachlosen sind nach fünf Jahren noch immer in ihren Wohnungen. Die gefürchteten „Drehtürkarrieren“ - Wohnung, Straße, Notschlafstelle, Straße - konnten gestoppt werden.

Decken gegen die Kälte

Inzwischen hat Johanns Turm am Kapuzinerberg eine neue Bewohnerin. Sie heißt Silvia, ist verkühlt und versucht sich mit mehreren Decken vergeblich gegen die Kälte zu schützen. Vom „Housing First“ Projekt will sie vorerst nichts wissen. Es gefalle ihr hier am Berg, sie wolle nicht in eine Wohnung.

Obdachlosenprojekt "housing first" in Salzburg.

ORF / Marcus Marschalek, Irina Oberguggenberger

Johann Lienbachers Turmzelle hat eine neue Bewohnerin. Persönliche Probleme und Alkohol haben die ehemalige Kindergärtnerin Silvia auf die Straße getrieben.

„Es ist nicht leicht Menschen, die einmal auf der Straße gelandet sind, von dort auch wieder weg zu bekommen“, erzählt Anton Waltl, Leiter des „Housing First“ Projekts im Gespräch mit religion.ORF.at. „Druck und Stress des Lebens auf der Straße machen physisch und psychisch krank, führen zu erhöhtem Drogenkonsum. Es beginnt ein Teufelskreis, dem man nur mehr schwer entrinnen kann“.

Hilfe ohne Bevormundung

Oft kann nur sehr langsam ein Vertrauensverhältnis zu den obdachlosen Menschen aufgebaut werden. Viele haben den Glauben an sich und die Gesellschaft verloren. Genau dort wollen die Haupt- und Ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vinzi-Werke ansetzen. Menschen sollen in den Begegnungen spüren, dass sie nicht ausgestoßen und wertlos sind, so Pfarrer Pucher.

Anton Waltl möchte die obdachlose Silvia weiter am Kapuzinerberg besuchen. „Doch niemand soll zu etwas gedrängt werden“, betont der Sozialarbeiter. Nur wenn Silvia von sich aus den Wunsch äußert unterstützt zu werden, steht ab jetzt „Housing First“ bereit, um bei den Schritten zurück in die Gesellschaft zu helfen.

Irina Oberguggenberger, Marcus Marschalek; religion.ORF.at

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