Religionssoziologe: Christentum erlebt Aufschwung

Mit Blick auf die Entwicklung des Christentums sagt der Religionssoziologe Hans Joas, „dass wir derzeit, global gesehen, eine der größten Expansionsphasen seiner Geschichte erleben“.

Joas sagt in der aktuellen Ausgabe des Hamburger Magazins „Zeit Wissen“, dass er das Christentum, auf einen weltweiten Maßstab bezogen, im Aufschwung begriffen sieht. Zugleich stellt er den religiösen Glauben als eine Möglichkeit von mehreren dar. In Staaten wie China und Südkorea, aber auch in Afrika nehme die Zahl der Christen rasant zu, erläuterte der Professor an der University of Chicago. Das würden jedoch viele in Europa nicht zur Kenntnis nehmen. „Sie blicken eher nostalgisch auf das Mittelalter zurück. Die aktuelle Entwicklung erscheint dann als Verfall.“

Chinesische Christen beim Beten zu Weihnachten

APA/EPA/How Hwee Young

Katholische Christen in Peking

Porträtfoto des Religionssoziologen Hans Joas

Hans Joas

Buchhinweis:

Hans Joas: Glaube als Option: Zukunftsmöglichkeiten des Christentums, Herder Verlag, 2012

Die Zeit des Christentums als europäische Religion sei vorbei, es finde eine Globalisierung des Christentums statt, sagte der Soziologe Joas in einem Gespräch mit Hansjörg Schultz in der Sendung „Motive - Glauben und Zweifeln“. Von den Ländern, in denen das Christentum derzeit im Aufschwung begriffen sei, kehre es auch wieder nach Europa zurück, so Joas. Dabei sei aber mit Anpassungsschwierigkeiten zu rechnen.

Die Angaben zu den Zahlen der Christen in China schwanken zwischen 19 und 80 Millionen oder 1,4 und 5,6 Prozent. China gewährt als laizistischer Staat zwar offiziell die freie Religionsausübung, übt jedoch starke Kontrolle aus. In Südkorea liegt die Zahl der Christen bei etwa 30 Prozent. Hier sind hauptsächlich evangelische und besonders die reformierten Kirchen vertreten.

Modernisierung nicht automatisch Säkularisierung

In dem Gespräch deutet Joas den „Tod der Säkularisierungsthese“ in den westlichen Gesellschaften an. Die Säkularisierung schreite nicht voran, auch die säkularisierten Staaten seien nicht frei von Religion. Vor allem wendet sich Joas gegen die verbreitete Annahme, dass mit der Modernisierung automatisch eine Säkularisierung stattfinde. Gerade Staaten wie die USA, die für Modernisierung stehen würden, zeigten, dass die Religiosität der Menschen stark bleibe. Joas betont dabei, dass es sich bei den religiösen Strömungen nicht nur um radikale handle, sondern dass sie sehr breit gestreut seien.

Chinesischer Priester beim Gottesdienst

APA/EPA/How Hwee Young

Weihnachtszeremonie in der Xischiku-Kathedrale in Peking

Das in den letzten Jahrzehnten wachsende öffentliche Interesse an Religion führt der Soziologe vor allem auf die Politisierung der Religion - vor allem des Islam - zurück. Durch diese werde Religion zum Teil als Bedrohung erlebt, was sich auch in den Debatten um die Integration - vor allem von Muslimen - in die westlichen Gesellschaften zeige, betont Joas in der Ö1-Sendung „Motive“.

Gesellschaft auch ohne Religion stabilisierbar

Der Wissenschaftler wendet sich gegen die Annahme, dass der Mensch von Natur aus religiös sei, wovon religiöse Menschen gerne ausgingen. Dass eine Gesellschaft auch ohne Religion stabilisierbar sei, zeigten stark säkulare Länder wie etwa die skandinavischen. „Es stimmt nicht, dass Nichtgläubige notwendig unglücklicher wären, unmoralisch und zu altruistischen Handlungen nicht in der Lage“, sagte Joas. Auch sozialer Zusammenhalt würde nicht erschwert durch Unglauben.

Sendungshinweis:

„Glaube und Moderne - ein Widerspruch?“ in: „Motive - Glauben und Zweifeln“ mit dem Religionssoziologen Hans Joas

Sonntag, 16.12.2012, 19.05 Uhr im Programm von Ö1.

Die Sendung ist auch unter der Rubrik „7 Tage Ö 1“ auf der Homepage von Ö 1 abrufbar.

Joas widerlegt in seinem Buch „Glaube als Option: Zukunftsmöglichkeiten des Christentums“, zwei Thesen: Einerseits die These von der zwangsläufigen Säkularisierung von Gesellschaften durch Modernisierung - die gerne von „Ungläubigen“ vertreten werde. Säkularisierung bedeute nicht zwangsläufig den moralischen Verfall der Gesellschaft.

Andererseits argumentiert er gegen den Gedanken vom Menschen als anthropologisch auf Religion angelegtes Wesen - den „gläubige“ Menschen gerne heranziehen würden. Die damit einhergehenden wechselseitigen Anschuldigungen: Der Ungläubige bringe den moralischen Verfall, der Gläubige hingegen sei rückständig, müssten abgelegt werden, denn beide seien nicht zutreffend.

religion.ORF.at/KAP

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