Das bedrohte göttliche Kind

Die Geschichte der Geburt Jesu ist von übernatürlichen Phänomenen durchwirkt. Engeln, Stern, prophetische Träume und die jungfräuliche Mutter: Diese Elemente kommen auch in anderen Geburtsmythen vor.

Geschichten und Mythen zur Geburt bedeutender Menschen in den verschiedensten Epochen und Kulturkreisen ähneln einander zum Teil in verblüffender Weise. Wie unterschiedlich Menschen wie Jesus, Buddha, Zarathustra und Romulus und Remus auch gewesen sein mögen, die Mythen über ihren Eintritt in die Welt folgen den gleichen Mustern.

Geburtswunder hätten die Funktion, den betreffenden Menschen als besonders darzustellen, sagte der evangelische Theologe Markus Öhler zu religion.ORF.at. „Religionsgründer oder Herrscher rechtfertigen besondere Autorisierung oft durch ihre Abkunft von einem Gott.“ Die wundersamen Umstände der Geburt sollen diese Gestalt eng an das Göttliche rücken, um sie dadurch zu legitimieren. Gläubigen helfe diese Legitimierung, den eigenen Glauben zu „unterfüttern“, so Öhler. „Daher sind die Reaktionen so stark, wenn Negatives über den Religionsstifter gesagt wird: Das stellt eine Bedrohung der eigenen Glaubensidentität dar“, sagt der Wissenschaftler.

Träume und Vorzeichen: Gott greift ein

Schon im Vorfeld der Geburt des „göttlichen“ oder sehr bedeutsamen Kindes geschehen Wunder: Oft wird sie durch Träume oder Vorzeichen angekündigt. Maria wird die „frohe Botschaft“ vom Engel Gabriel mitgeteilt. Die Mutter Siddhartha Gautamas, des späteren Buddha, träumt der Legende zufolge, dass ein weißer Elefant vom Himmel herabsteigt und in ihren Schoß eintritt.

Auch der Mutter von Zarathustra, dem Begründer des persischen Zoroastrismus, erscheint im Traum ein Engel, der ihr weissagt, dass sie einen großen Propheten zur Welt bringen werde, der die bevorstehende Zerstörung der Welt verhindern könne. Ein Engel erscheint auch den Hirten in der Weihnachtsgeschichte.

Buddha-Statue mit Kerzen davor

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Buddhas Geburt wurde von einem „großen“ Licht und einem Sternenregen begleitet

Diese Wunder und Zeichen sollen, so der Theologe Öhler, „zeigen, dass Gott eingreift und lenkt“. Das kann auch durch eine direkte Intervention geschehen, wenn etwa Gott den Weisen aus dem Morgenland Anweisungen gibt. Auch der Stern und das Licht symbolisieren im Geburtsmythos Gottes Eingreifen. Ein „großes Licht“ soll gleichzeitig mit der Geburt Buddhas gesehen worden sein, und ein Sternenregen ging laut Legende nieder. Ein Licht, genauer ein Stern, führt auch die Heiligen Drei Könige im Matthäus-Evangelium zum Geburtsort von Jesus. „Glaube beruht darauf, dass Gott handelt“, so Öhler.

Jungfrauengeburt stellt Herkunft sicher

Die Geburt selbst unterscheidet sich natürlich auch von der eines „gewöhnlichen“ Menschen. Sie geht oft für die Mutter schmerzfrei und von Zeichen begleitet vonstatten. Als die Mutter Buddhas ihr Kind gebiert, geschieht das mit einer Vision, in der die Götter Brahma und Indra das Kind schmerzlos aus ihrer Seite nehmen. Über das Element der jungfräulichen Geburt wie bei Jesus sagt Öhler: „Sie soll sichern, dass die göttliche Herkunft sichergestellt ist. Im christologischen Streit (Theologenstreit im 4. Jahrhundert über die Frage, ob beziehungsweise wie sehr Christus Mensch oder Gott war, Anm.) spielt das später eine große Rolle.“

Don Lorenzo Monaco: Geburt Christi, 1409

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Don Lorenzo Monaco: „Geburt Christi“, 1409

Ist das „besondere“ Kind einmal auf der Welt, zeichnet es sich häufig durch ein auffallendes Verhalten aus. Plinius der Ältere behauptet etwa über Zarathustra, er habe bei seiner Geburt gelacht. Vom griechischen Helden Herakles weiß man, dass er kurz nach seiner Geburt bereits zwei Schlangen erdrosselte. Krishna soll als Neugeborenes die Wärter, die seine Eltern bewachten, eingeschläfert und Ketten sowie Kerkertüren gesprengt haben.

Die Bedrohung des Kindes

Ein starkes und fast in allen Geburtsmythen dieser Art vorkommendes Muster ist das der Gefährdung des außergewöhnlichen Kindes, die oft schon vor der Geburt einsetzt. Diese Bedrohung sei „ein literarisches Motiv, das gern aufgegriffen wird, ganz bewusst für besondere Leute“, so Öhler. Im Matthäus-Evangelium heißt es, dass König Herodes, als er von der Geburt eines neuen Königs der Juden erfuhr, die Weisen Israels befragen ließ, wo diese Geburt stattgefunden habe. Bethlehem war die Stadt Davids, dem Gott verheißen hatte, sein Nachkomme werde auf ewig den Thron erben.

Prof. Markus Öhler

Markus Öhler

Markus Öhler ist Vorstand des Instituts für Neutestamentliche Wissenschaft der Universität Wien

Herodes beschloss, den potenziellen Konkurrenten zu vernichten, und ließ zu diesem Zweck in Bethlehem und Umgebung alle männlichen Kinder unter zwei Jahren töten. Josef war jedoch bereits vorher in einem Traum gewarnt worden, die Flucht mit Maria und dem Kind nach Ägypten gelang.

Häufig jedoch muss das bedrohte „göttliche“ Kind infolge der Bedrohung ausgesetzt werden und in Zukunft ohne die Eltern auskommen. So wird im Alten Testament das Baby Moses in einem Schilfkörbchen auf dem Nil ausgesetzt, weil der Pharao befohlen hatte, alle männlichen Kinder der Israeliten zu töten. Richtet sich die Bedrohung des Kindes in Moses’ Fall nicht direkt gegen ihn, ist das in anderen Geschichten ähnlicher Art sehr wohl der Fall.

Angst des Despoten vor dem Konkurrenten

Auch Romulus und Remus, der Legende nach vom römischen Kriegsgott mit einer Vestalin gezeugt, werden in einem Weidenkörbchen ausgesetzt. Wiederum steht hinter dieser Tat ein Despot, der um seine Macht fürchtet - allerdings ist in dieser Geschichte die Absicht hinter der Aussetzung nicht die Rettung, sondern der Tod der Kinder. Diese werden durch ein wundersames Tiber-Hochwasser gerettet und in der Folge von einer Wölfin gesäugt. Sehr ähnlich die Geburtsgeschichte um den Perserkönig Kyros II.: Auch er soll, wie Herodot berichtete, aufgrund einer Prophezeiung ausgesetzt, aber von Hirten gerettet worden sein.

Peter Paul Rubens' Bild "Romulus und Remus", 1616

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Peter Paul Rubens: „Romulus und Remus“, 1616

Der beabsichtigten Tötung des Neugeborenen geht oft eine Weissagung voraus, die den Aufstieg dieses Kindes zum Herrscher (Jesus) oder gar die Beseitigung des Herrschers durch das Kind ankündigt. Besonders grauenvoll ist die Prophezeiung des Orakels von Delphi, die König Ödipus’ Eltern davor warnt, einen Sohn zu zeugen, weil dieser seinen Vater erschlagen und seine Mutter heiraten werde - was sich erfüllt, weil der Versuch, sich des Kindes zu entledigen, scheitert.

Extrem auch die Geschichte der Bedrohung Krishnas: Der König, dem geweissagt wurde, der achte Sohn seines Cousins und dessen Frau werde ihn dereinst töten, lässt diese künftigen Eltern Krishnas einkerkern. Alle ihre Söhne werden umgebracht, nur das siebente Kind, der Sohn vor Krishna, kann durch einen Trick gerettet werden.

Geburtsmythos prägte Brauchtum

Das christliche Brauchtum haben die Geburtsmythen bis in die heutige Zeit hinein stark geprägt: Die Tradition des Schenkens, mit der die Weihnachtsgeschichte verbunden ist, geht wohl auf die drei Weisen aus dem Morgenland zurück, die, dem Stern folgend, mit Geschenken zu Jesus kamen, sagt Neutestamentler Öhler. Auch Engel spielen in der Bildsprache von Weihnachten eine bedeutsame Rolle. Adventkrippen wären ohne Verfolgung des Christuskindes nie ein Symbol für Weihnachten geworden - ohne die Bedrohung des göttlichen Kindes wäre ja auch eine Herbergssuche nicht nötig gewesen.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at