Orientalist fordert differenzierte Sicht auf Salafismus
Laut Rüdiger Lohlker darf man den Salafismus nicht als eine homogene Bewegung betrachten. Es gebe den politisch eher uninteressierten Salafismus, „den wir Akademiker quietistisch nennen“, so Lohlker in der „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“ (Donnerstag). Als weitere Strömungen nannte der Professor für Orientalistik an der Universität Wien einen „politisch interessierten Salafismus“ sowie den gewaltbereiten „dschihadistischen Salafismus“.
Neues Feindbild im Westen
In den Ländern des „Arabischen Frühlings“ überwiege der politische Salafismus. Dieser habe seither auch in anderen Weltgegenden stärker an Gewicht gewonnen und sei dort weitgehend positiv besetzt, erläuterte Lohlker.
EPA/Wael Hamzeh
Im Westen diene diese Form des Salafismus dagegen zur „Konstruktion eines neuen Feindbildes, nachdem zum Glück die Zahl der Anschläge in Europa etwas geringer geworden ist“. Grundsätzlich gelte, dass der politisch besetzte Terminus auch in der arabischen Welt relativ neu sei im Gegensatz zum religiösen Salafismus-Begriff. Lohlker: „Das sollte man trennen.“
Fokus auf persönliche Frömmigkeit
Dem Experten zufolge bedeutet Salafismus in religiösem Sinn eine „Rückwendung zur islamischen Frühzeit“. In seiner ursprünglichen Form verstehe er sich als eine „lebensreformerische, pietistische Strömung“, die auf eine individuelle Frömmigkeit ziele und einen egalitären Ansatz habe, in der jeder Gläubige sich religiöses Wissen aneignen dürfe.
BM.I/Alexander Tuma Abdruck
Salafismus, so Lohlker, sei damit gewissermaßen die „islamische Ausprägung eines Evangelikalismus“, die gegen eine Auflösung bestehender Bindungen gerichtet sei.
Ähnliche Phänomene fänden sich in allen Weltreligionen, betonte der Wissenschafter. Auch ließen sich historische Parallelen zur Reformation im 16. Jahrhundert ziehen. Reformatoren und Salafisten vereine der Gedanke „der Reinigung, der Befreiung der Religion von allen historischen Anhaftungen“, sagte Lohlker. Er sprach von einem „Protestantismus im Widerstand gegen die Verfasstheit der Welt“. Die Reformation sei ebenfalls nicht unbedingt „sehr angenehm“ gewesen, so Lohlker: „Ich hätte nicht unter Calvins Herrschaft in Genf leben wollen.“
KAP
Link:
- „Christ und Welt“ (www.christundwelt.de/)