Deutsche Opfer-Hotline: Missbrauch war meist geplant

Katholische Priester haben ihre sexuellen Übergriffe auf Kinder und Jugendliche genau geplant. Das ist eines der „erschütternden Ergebnisse“, die die Auswertung der Gespräche der deutschen Hotline für Missbrauchsopfer erbrachte.

Das sagte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Triers Bischof Stephan Ackermann, Mitte Jänner in Trier. Jene Priester und Diakone hätten „sich das Vertrauen von Kindern erschlichen und diese dann auf schändliche Weise missbraucht“ - in der Kirche, in Heimen und in Internaten. Fast 8.500 Gespräche waren bei der Opfer-Hotline der katholischen Kirche geführt worden, die von Ende März 2010 bis Ende 2012 geschaltet war. Die Bewegung „Wir sind Kirche“ bedauerte die Einstellung der Telefonhotline.

Nach den Gesprächen mit Opfern, die meist über Vorfälle aus dem Zeitraum zwischen 1950 und 1980 berichteten, habe es keine Hinweise auf „zufalls- oder überfallartige Taten“ gegeben, sagte Ackermann. Die Täter hätten oftmals „die psychische Wirkung von Riten“ wie Gebeten oder Beichten ausgenutzt, um sich an den Kindern zu vergehen.

Ackermann: Aufklärung fortsetzen

„Besonders erschüttert hat mich, dass die Täter den Minderjährigen vortäuschten, ihre Handlungen seien ein Ausdruck liebender Verbundenheit mit Gott“, sagte Ackermann. Mehr als 60 Prozent der Anrufer gaben an, Opfer sexueller Gewalt gewesen zu sein. Die meisten von ihnen waren Männer.

Bischof Stephan Ackermann

dapd/Harald Tittel

Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Triers Bischof Stephan Ackermann

Ackermann kündigte an, die Aufklärung auch nach dem Ende des Telefonservices fortsetzen zu wollen. „Wir wollen das Vertrauen nutzen, um mit allen Kräften heute und in Zukunft das Verbrechen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu verhindern.“ Die Bischöfe würden sich „weiterhin mit gleichbleibender Intensität und Konsequenz um eine gründliche und transparente Aufarbeitung bemühen“.

Das kriminologische Forschungsprojekt bleibe „ein wichtiger Baustein“ im Maßnahmenpaket der Kirche, so Ackermann weiter. Es gebe schon eine Reihe von Angeboten zu einem Neustart des Projekts. Wissenschaftler könnten sich „entgegen allen Unkenrufen“ offensichtlich die Bischofskonferenz als Partner vorstellen. Die durch die Beendigung der Zusammenarbeit mit Pfeiffer ausgelöste Debatte bezeichnete Ackermann als „herben Rückschlag in unserem Bemühen um die Aufarbeitung und Prävention sowie eine erneuerte Vertrauenswürdigkeit“.

Missbrauchsstudie gestoppt

Die katholische Kirche war bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in die Kritik geraten, weil sie eine wissenschaftliche Studie des Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer gestoppt hatte. Pfeiffer, der im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche aufklären sollte, warf der Kirche daraufhin Zensur vor.

Christian Pfeiffer

dapd/Maja Hitij

Für den Kriminologen Christian Pfeiffer ist das Kontrollbegehren der Kirche „unzumutbar“

In der deutschen Wochenzeitung „Christ & Welt“ sagte Pfeiffer: „Ich soll nicht länger behaupten, dass die Kirche Zensurwünsche an uns gerichtet hat. Da ich das belegen kann, sehe ich keinen Grund, es zu unterlassen.“ Pfeiffer berichtete in der Beilage der „Zeit“ detailliert, wie die Kirche versucht habe, möglicherweise missliebige Forschungsergebnisse unter Verschluss zu halten.

Sie habe in den bestehenden Forschungsvertrag eine Blockadeklausel einbauen wollen, wonach eine Veröffentlichung von Ergebnissen seiner Missbrauchsstudie nur nach einer „ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung“ des Verbandes der Diözesen Deutschlands möglich gewesen wäre. „Zudem beanspruchte die Kirche ein Mitspracherecht bei der Auswahl von Mitarbeitern", so Pfeiffer.

Pfeiffer: Angriff auf Forschungsfreiheit

Pfeiffer wertete den Vorgang als Angriff auf die Forschungsfreiheit und nannte das Kontrollbegehren der Kirche „unzumutbar“. Weiter sagte er in „Christ & Welt“, die Bischofskonferenz habe eine „präventive Zensur“ durchsetzen wollen. Außerdem habe er „Hinweise auf neue Aktenvernichtungen“ in mehreren Bistümern erhalten. „Neue Aktenvernichtungen wären ja vertragswidrig gewesen.“

Die katholische Kirche habe sich bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen gut um Aufklärung bemüht, sagte hingegen Weihbischof Hans-Jochen Jaschke in einer ARD-Magazinssendung. „Im Ganzen muss man doch sehen, hat die Kirche, haben Menschen in der Kirche, sich viel, viel Mühe gegeben und nehmen die Menschen ernst und bringen sie endlich zum sprechen“, sagte der Weihbischof. Die Zuständigen hätten schnell bundesweit für Transparenzregeln gesorgt und in den Diözesen immer eine gute Urteilsfindung ermöglicht.

Die Missbrauchsgeschichte sei eine „ganz bedrückende Erfahrung“, so Jaschke. „Ich schäme mich bis heute angesichts der Opfer, die Menschen in der Kirche vertraut haben und so bitter enttäuscht sind.“

religion.ORF.at/dpa/AFP

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