Von Marktl am Inn in den Vatikan

Eine Kurzbiografie von Benedikt XVI., der am Montag überraschend angekündigt hat, Ende Februar zurückzutreten. Er habe nicht mehr die Kraft, sein Amt angemessen auszuüben. Joseph Ratzinger ist 85 Jahre alt.

Der spätere Papst wurde am 16. April 1927 als Joseph Ratzinger als jüngstes von drei Kindern eines Polizeibeamten und einer Köchin in Marktl am Inn in der Diözese Passau in Deutschland geboren. Als 14-Jähriger wurde er in die gesetzlich verordnete „Jugenddienstpflicht“ Hitlers aufgenommen, später leistete er Kriegsdienst in verschiedenen Einheiten und geriet kurz in amerikanische Gefangenschaft. Bald nach Kriegsende machte er die Matura und studierte dann von 1946 bis 1951 katholische Theologie und Philosophie an der Philosophisch-theologischen Hochschule Freising. 1951 empfing er die Priesterweihe.

Papst Benedikt XVI. bei seiner Neujahrspredigt 2013

Reuters/Giampiero Sposito

Papst Benedikt XVI. bei seiner Neujahrspredigt 2013

Lehrer von Christoph Schönborn

Mit 26 Jahren wurde Ratzinger Dozent für Dogmatik und Fundamentaltheologie in Freising und München. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) fungierte er als theologischer Berater des Kölner Kardinals Josef Frings. Anschließend lehrte er nacheinander als Professor in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg, wo der heutige Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn Ende der 1960er Jahre sein Student war. Ratzinger war nie als Pfarrer tätig. 1977 erhielt er Bischofsweihe und Kardinalstitel.

Benedikt XVI. wurde am 19. April 2005 in nur vier Wahlgängen als Nachfolger von Johannes Paul II. gewählt. Damals war er 78 Jahre alt. Bereits seit 1981 hatte Ratzinger als Präfekt die theologische Linie des Pontifikats mitbestimmt. Fast ein Vierteljahrhundert lang war der Theologe der engste Mitarbeiter von Johannes Paul II.

Papst Benedikt XVI winkend

Reuters/Giampiero Sposito

„Nur in der Kirche ist es möglich, Christ zu sein, und nicht am Rande der Kirche“

Als Kardinalsdekan führte er nach dem Tod seines Vorgängers die Kirche souverän bis zu seiner Wahl zum neuen Papst. Zu seinem Erbe gehörte auch die Aufarbeitung des Skandals um sexuelle Gewalt in Einrichtungen der römisch-katholischen Kirche, auf die Benedikt XVI. in London mit einer historischen Vergebungsbitte reagierte.

Aufsehenerregende Wortmeldungen und Skandale

In der medialen Wahrnehmung war das Bild des Papstes geprägt von aufsehenerregenden Wortmeldungen - etwa über seine ablehnende Haltung zum Gebrauch von Kondomen im Kampf gegen HIV/Aids. Ein anderes Beispiel ist die „Regensburger Rede“ aus dem Jahr 2006, für die er nicht nur von islamischer Seite kritisiert wurde. Er zitierte darin die Äußerung eines byzantinischen Kaisers, die den Islam als „inhuman“ und gewaltbereit darstellte. Der Papst konnte in der Folge seine Absicht glaubhaft machen, den Dialog mit dem Islam und anderen Religionen im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils fördern und suchen zu wollen sowie für Frieden einzutreten. Er besuchte während seiner Amtszeit einige islamische und jüdische Stätten.

Ein großer Skandal in seiner Amtszeit als Papst war die „Vatileaks-Affäre“ aus dem Jahr 2012. Sein damaliger Kammerdiener Paolo Gabriele hatte vertrauliche Dokumente vom Schreibtisch Benedikts XVI. entwendet und an den italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi weitergegeben. Dieser veröffentlichte sie in dem Buch „Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI.“. Gabriele wurde im Oktober 2012 zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt, drei Tage vor Weihnachten aber von Ratzinger begnadigt.

Kirche ist keine Demokratie

Für Aufsehen sorgte Benedikt XVI. in seinen ersten Dienstjahren auch mit der Auseinandersetzung mit der Befreiungstheologie. Hier unterschied er scharf zwischen Strömungen, die mit der Glaubenslehre der Kirche vereinbar sind - und solchen, die es nicht sind. Aber auch zu vielen anderen Fragen und Bereichen der Glaubens- und Sittenlehre stellte Ratzingers Behörde dar, was Lehre der Kirche ist und wo die Grenzen liegen. Er erinnerte, dass demokratische Kriterien nicht ohne weiteres auf Glaubens- und Kirchenfragen anwendbar sind.

Papst Benedikt XVI. beim Absetzen seiner ersten Twitter-Botschaft

dapd/Gregorio Borgia

2012 machte der Papst die Kirche fit für das 21. Jahrhundert - er begann zu twittern: Hier bei der Eingabe seiner ersten Twitter-Botschaft

Unter seiner theologischen Ägide wurde 2007 der tridentinische („alte“, lateinische) Ritus in der Liturgie wieder zugelassen. Das erschien vielen als Rückschritt beziehungsweise als Annäherung an die Gegner der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils - etwa die traditionalistische Priesterbruderschaft St. Pius X., mit der Papst Benedikt XVI. in Verhandlungen, bezüglich der Wiedereingliederung der Gemeinschaft in die römisch-katholische Kirche getreten war. Zudem erschien unter seiner Führung der neue Katechismus der katholischen Kirche.

Wiederholt beklagte der Papst den Verlust des Heiligen etwa in der Liturgie und der Kirchenarchitektur. In einer vielbeachteten Zustandsbeschreibung verglich er die nachkonziliare Kirche mit einer Baustelle, an der jeder nach eigenem Gusto „herumwerkelt“, weil der Bauplan verloren gegangen sei. Mehrmals warnte er vor einer undifferenzierten „Konzilseuphorie“. Er zeigte wenig Sympathie für den Ruf nach einem Dritten Vatikanischen Konzil: Das Zweite, so meinte er, sei längst noch nicht aufgearbeitet und umgesetzt.

Kritik und Selbstkritik

Für weltweite Debatten sorgte im September 2000 die von Benedikt XVI. verfasste Erklärung „Dominus Iesus“, in der er die Einzigartigkeit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und die besondere Stellung der katholischen Kirche betonte. In einer Karfreitagsmeditation beklagte er einmal, dass in vielen Theorien wenig Glaube sei, dass die Kirche wie ein sinkendes Boot sei, dass es in ihr „viel Schmutz“ gebe und dass auch im Klerus Hochmut und Selbstherrlichkeit vorherrschten. Diese Kritik und Selbstkritik fand manchen Widerspruch.

Nicht nur als vatikanischer Amtsträger, sondern auch als Theologe hat Ratzinger in den vergangenen Jahren weitergearbeitet und publiziert. In Büchern, Interviews und Studien legte er Analysen zum Zustand von Kirche und Gesellschaft vor, die in ihrer Offenheit nicht allen gefielen - und auch nicht nur gefallen wollten. Am 11. Februar kündigte Joseph Ratzinger als erst zweiter Papst der Geschichte überraschend seinen Rücktritt für 28. Februar an.

religion.ORF.at/KAP

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