Papst-Rücktritt: Kirchenhistoriker sieht „Präzedenzfall“

Der Kirchenhistoriker Rupert Klieber sieht im Rücktritt von Papst Benedikt XVI. einen „Präzedenzfall, den es in der jüngeren Kirchengeschichte noch nicht gegeben hat“.

Der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber

Privat

Der Kirchenhistoriker Rupert Klieber meint, dass Papst Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt einen Präzedenzfall geschaffen haben könnte

Klieber geht davon aus, dass die Vorgehensweise Benedikts XVI. Schule machen wird und auch künftige Päpste ihr Amt aufgrund körperlicher Schwäche zurücklegen könnten. Er vermute außerdem, dass Benedikt XVI. schon seit längerem an einen solchen Schritt gedacht haben könnte, so der Kirchenrechtsprofessor an der katholisch-theologischen Fakultät Wien.

„Modell für künftige Päpste“

Anders als im ersten Kirchenrechtskodex von 1917 wurde der Rücktritt eines Papstes erst in der Neuauflage von 1983 klar geregelt. Benedikt XVI. ist der erste, der seither davon Gebrauch macht. „Es wird wahrscheinlich üblich werden“, vermutet Klieber. „Künftige Päpste haben nun ein Modell, auf das sie bei Bedarf zurückgreifen können - wenngleich es nicht zwingend ist, dass dies spätere Päpste auch tun“, so Klieber. Überlegungen zu einem derartigen Schritt hätten schon mehrere Amtsvorgänger Benedikts geäußert.

Vieles werde nun davon abhängen, wie sich der weitere Lebensweg des „Papa emeritus“ - der künftig wieder „Kardinal Joseph Ratzinger“ oder „Altbischof von Rom“ genannt wird - gestaltet, gibt Klieber zu bedenken. Je nachdem, „wie glücklich die Lösung ist, die man hier nun für den Umgang mit einem Altpapst findet, wird es Nachfolgern leichter oder schwerer fallen, ebenfalls diesen Weg zu gehen. Aber das ist ja dann ganz dessen Entscheidung.“

Insgesamt fünf freiwillig zurückgetretene Päpste

Papstrücktritte waren Klieber zufolge weit weniger ungewöhnlich als zuletzt anlässlich der Resignation Benedikts XVI. behauptet wurde: Außer Coelestin V. (um 1209/1210-1296) gab es laut Klieber noch drei weitere päpstliche Amtsverzichte - sieht man von jenen Fällen ab, bei denen Päpste zur Abdankung genötigt wurden. Klieber nannte im „Kathpress“-Gespräch am Dienstag Papst Pontianus in der Spätantike, den Mittelalter-Papst Benedikt IX. sowie Gregor XII. am Beginn des 15. Jahrhunderts. Benedikt XVI. wäre somit bereits der fünfte freiwillig zurücktretende Papst - der erste freilich der Neuzeit.

Der amtierende Papst habe laut Einschätzung des Wiener Kirchenhistorikers möglicherweise bereits seit 2009 mit dem Gedanken eines Amtsverzichtes gespielt. Das Indiz dafür: Zweimal in seiner Amtszeit sei der scheidende Papst zum Schrein Coelestins V. gepilgert und habe damit wohl nicht zufällig einem jener vier Amtsvorgänger seine Reverenz erwiesen, die den Stuhl Petri freiwillig abgaben. Das erste Mal geschah dies im April 2009, ein Jahr später habe der Papst abermals die Wirkungsstätte und das Grab des lange verstorbenen Amtsvorgängers aufgesucht.

Benedikt dürfte somit spätestens ab 2009 die Möglichkeit erwogen haben, dass man auch freiwillig zurücktreten kann, mutmaßt Klieber. Coelestin V. attestiert Klieber außerdem eine „vergleichbare Motivation“: Der Mittelalter-Papst habe ebenfalls als Hochbetagter „die Bürde des Amtes sowie auch den Überdruss, dass er nicht mehr die Kraft und dem Willen hat, sich dem zu stellen, gespürt“.

Zeit der Sedisvakanz beginnt

Mit dem Tod oder Amtsverzicht eines Papstes geht die Verantwortung für die katholische Kirche auf das Kardinalskollegium über. Allerdings darf laut dem Kirchenrecht in dieser Zeit der Sedisvakanz, des „leeren Stuhles“, in der „Leitung der Gesamtkirche nichts geändert werden“. Nur die reguläre Verwaltung geht weiter. Fast alle Kurienchefs, einschließlich der Kardinal-Staatssekretäre, verlieren ihre Ämter.

In dem 1983 neu gefassten Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici) heißt es für den Fall, dass ein Papst auf sein Amt verzichtet, dafür sei erforderlich, „dass der Verzicht frei geschieht und ordnungsgemäß kundgetan wird“, nicht aber, „dass er von irgend jemandem angenommen wird“. (Canon 332 Paragraph 2)

Kardinalskollegium übernimmt Amtsgeschäfte des Vatikans

Wenige Leitungsämter, etwa das des Camerlengo der Kirche, des für das Buß- und Ablasswesen zuständigen Großpönitentiars oder des Kardinalvikars für Rom, bleiben im Fall der Sedisvakanz in Kraft. Auch die Sekretäre der Vatikanbehörden bleiben im Amt, um den Arbeitsbetrieb aufrecht zu erhalten.

Während der Sedisvakanz tritt das Kardinalskollegium täglich zu „Generalkongregationen“ zusammen. Bei diesen Sitzungen werden die Details zur Einberufung des Konklaves sowie anderer wichtiger Probleme der Kirchenleitung erörtert werden. Aufschiebbare Fragen und erst recht Dinge, die einem Papst vorbehalten sind, dürfen in dieser Phase nicht entschieden werden.

religion.ORF.at/KAP

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