Ö: Zeitungen würdigen Benedikts Entscheidung

Die österreichischen Tageszeitungen kommentieren den überraschenden Rücktritt Benedikts XVI. überwiegend positiv. Gleichzeitig erwarten sie vom Nachfolger hauptsächlich Kontinuität.

Kronen Zeitung:

"Oft stand in seinen Augen ein Staunen über all die Äußerlichkeiten, die ihn als Papst umgaben. Der frühere Professor Joseph Ratzinger wäre wohl lieber bei seinen Büchern geblieben. Er überzeugete durch seine theologische Bildung, sein Talent, in einfacher, klarer Sprache Glauben zu vermitteln, getragen von der eigenen Frömmigkeit. Aber in seinen Abschiedsworten, im geliebten Latein, beklagte der bald 86-Jährige auch die Leiden, die seinem Amt inne sind. Sie zu ertragen, in einer Welt, „die sich so schnell verändert und durch Lebens- und Glaubensfragen hin- und hergeworfen“ wird, fehlten ihm die Kräfte. Dazu kam die Angst um die Kirche, die in seinem Pontifikat Stürme aushalten musste, die sie schwer beschädigten. […]

Ratzingers Mut zum Abschied hat den Weg freigemacht für eine Erneuerung, die das Kirchenvolk ersehnt. Doch es wäre ein Wunder, wenn das dank Wojtylas überwiegend konservative Kardinalskollegium ein solches Wagnis riskierte…“

Kurier:

„Der Papst tritt zurück? Die Eilt-Meldung am Rosenmontag hielten viele erst für einen Faschingsscherz. Für ganze Generationen galt es als ein ehernes Gesetz: Ein Papst tritt nicht zurück. Jetzt ist es mit Brief und Siegel gewiss: Der „Heilige Vater“ ist auch in diesem Punkt von dieser Welt. Joseph Ratzinger ist nicht der erste Papst, der abdankt. Aber er ist der Erste, bei dem die ganze Welt miterleben konnte, dass er gute Gründe dafür hat. Der 85-Jährige ist zu allererst müde, ausgebrannt, bekennt er selber offen wie nie ein (siehe Papst-Erklärung). Ermüdet ist der Schöngeist zuvorderst an den Intrigen seiner engsten Umgebung im Vatikan und den ungelösten inneren Widersprüchen seiner katholischen Kirche. An der mangelnden Kraft, dem allen Herr zu werden, ist sein Pontifikat gescheitert.“

Pressestimmen Papstrücktritt

ORF/Marschalek

In sämtlichen österreichischen Tageszeitungen ist die Rücktrittsankündigung Benedikts XVI. am Dienstag Titelthema

Der Standard:

„So mutig das selbstbestimmte Ende des Pontifikats ist, so sehr haben diesem Papst bei der Ausübung seines Amtes Mut und Fortschrittlichkeit gefehlt. Er wird nicht als Reformer und Vertreter der Aufklärung im Kant’schen Sinne, sondern als Retro-Papst in Erinnerung bleiben. Er hat zugelassen, dass Positionen des Zweiten Vatikanischen Konzils infrage gestellt wurden, und keine Schritte gesetzt, die die Ökumene vorangebracht hätten. Dazu trug die Islam-Schelte in seiner Regensburger Rede zu Beginn seiner Amtszeit bei. […]

Wer immer neues Kirchenoberhaupt wird: Auf ihm lasten die Hoffnungen auf eine Öffnung der Kirche, eine Gleichstellung von Mann und Frau und den Einzug der Realität hinter die Gemäuer des Vatikans. Für die katholische Kirche bietet dieser selbstgewählte Rücktritt eine Chance: dass sich Priester wie jene, die sich selbst als ungehorsam bezeichnen, nicht noch weiter von „ihrer“ Kirche entfernen; dass Christen, die in einer Abwarteposition sind, doch nicht austreten; dass Skandale ehrlich aufgearbeitet werden und öffentlich dazu Stellung genommen wird.“

Die Presse:

"Benedikt XVI. macht den Weg also zumindest für die Chance eines von vielen Katholiken so sehnsüchtig erhofften neuen Anfangs in der katholischen Kirche frei. Er macht den Weg nicht zuletzt auch für eine dringend erforderliche Neuorganisation der vatikanischen Kurie frei, die gerade während der vergangenen Monate von immer unverhüllter geführten Diadochenkämpfen, zuweilen homoerotisch motivierten Intrigen und von Korruption schwer gebeutelt war.

Er macht den Weg für eine neue Form der Kommunikation mit der „Welt" frei. Denn wirklich verstanden hat der zarte Mann in Weiß mit dieser feinen Stimme und dem scharfen Intellekt die Welt offenbar nicht mehr. Und die Welt ihn nicht mehr.“

Kleine Zeitung:

"So überraschend die Geste ist, so gut passt sie zu dem vernünftigen Professor. Die Trennung zwischen seiner Person und dem Amt, die der vollzieht, sie kündigte sich schon vorher an. Es war kein geringer Tabubruch, als Papst stundenlange persönliche Interviews zu geben, oder gar ein Jesus-Buch zu verfassen, das ausdrücklich als Privatmeinung des Theologen Ratzinger deklariert ist.

Die über die Jahrhunderte hochstilisierte Figur des Papstes lässt so eine Unterscheidung eigentlich nicht zu. Nun ist sie amtlich und nicht mehr rückgängig zu machen. Die Meriten dafür gebühren einzig Joseph Ratzinger."

Oberösterreichische Nachrichten:

"Joseph Ratzinger erspart nicht nur sich selbst, sondern der ganzen Welt das Bild des öffentlichen Schmerzensmannes, das sein Vorgänger Johannes Paul II. geboten hat. Dass Benedikt XVI. hier nicht dem Beispiel seines Vorgängers folgt, sondern seinen eigenen Weg geht, ist bewundernswert.

In der Gruppe der Papstwähler, also Kardinäle unter 80 Jahren, haben die von Ratzinger ausgesuchten Männer die Mehrheit. Das bedeutet, dass auch mit einem neuen Papst keine kirchenpolitische und theologische Veränderung zu erwarten ist - auch, weil der Vorgänger da ist und allein schon deshalb Wirkung entfaltet."

Wiener Zeitung:

"Mit seinem Rücktritt ist ihm ein Platz in der Kirchengeschichte aber nun gewiss - auch durch dessen Begründung. „Aber die Welt, die sich so schnell verändert, wird heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen“, formulierte Joseph Ratzinger in seiner Rücktrittserklärung. Er sei dafür zu schwach. Diese Größe haben nicht viele, die Welt zollt ihm dafür zu Recht - über sämtliche Grenzen hinweg - tiefen Respekt.[…]

Ein jüngerer, modernerer Papst soll die Richtung Roms vorgeben. Die Kardinäle wären beim Konklave gut beraten, diese Lehren aus dem mutigen Schritt von Benedikt XVI. zu ziehen."

religion.ORF.at/APA

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