Offene Fragen nach „Vatileaks“ und Papst-Rücktritt

Vatikan-Insider fragen sich, ob der Skandal um den untreuen Butler Paolo Gabriele Benedikt XVI. zum Amtsverzicht bewogen hat. Viele Fragen sind nach der „Vatileaks“-Affäre offen geblieben.

Die „Vatileaks“-Affäre war nach Meinung des Journalisten und Papst-Biografen Peter Seewald nicht der Anlass für den Amtsverzicht Benedikts XVI. Der Verrat seines langjährigen Kammerdieners Paolo Gabriele habe den Papst weder aus der Bahn geworfen noch amtsmüde gemacht, hatte Seewald nach einem Gespräch mit Benedikt XVI. in der Sommerresidenz in Castel Gandolfo im vergangenen August berichtet. Doch der Fall um die entwendeten Papst-Dokumente, die zum Teil an die Öffentlichkeit gelangt sind, zählt zu den spektakulärsten Skandalen in der ganzen Geschichte des Vatikans.

Gerüchte um Gründe für Papst-Rücktritt

Bisher war noch nie ein enger Mitarbeiter des Papstes mit derart gravierenden Vorwürfen konfrontiert worden. Nicht auszuschließen ist, dass die Verbitterung wegen des Skandals sowie die Machtkämpfe unter den Kardinälen in der Kurie den Papst in seinem Entschluss zum Rücktritt bestärkt haben. Die italienische Zeitung „La Repubblica“ sprach am Donnerstag von der Erpressbarkeit einiger Kardinäle und bezog sich dabei auf einen Geheimbericht zur „Vatileaks“-Affäre, den drei Kardinäle am 17. Dezember 2012 dem Papst vorgelegt hatten.

Der Bericht der dreiköpfigen Kardinalskommission über den Skandal wird weiterhin amtlich geheim gehalten. Somit ist bis heute nicht bekannt, mit welchen der vielen duplizierten Briefe und Berichte der Papst erpressbar gewesen sein könnte. Spekulationen darüber, dass der italienische Nachrichtendienst sich das Material beschafft habe, kursieren weiter.

Offene Fragen

Nach der Verhängung einer milden 18-monatigen Haftstrafe gegen Gabriele und seine Begnadigung vor Weihnachten bleiben noch viele Fragen rund um mögliche Komplizen und die Motive offen, die den 46-Jährigen zur systematischen Entwendung vertraulicher Dokumente des Papstes bewogen haben könnten.

Verdächtig erscheint Beobachtern zudem das Eiltempo, mit dem der Prozess abgeschlossen wurde. Die Richter brachten das Verfahren an nur vier Prozesstagen zu Ende, rechtzeitig vor Beginn einer Bischofssynode und vor dem Start des „Jahres des Glaubens“ zum 50. Jahrestag des Zweiten Vatikanischen Konzils. „Es ist offenkundig, dass der Vatikan das Verfahren in kürzestmöglicher Zeit beenden wollte“, kommentierte „La Repubblica“.

Gabriele, der vertrauliche Dokumente kopiert und dem italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi für seinen Bestseller „Sua Santita“ („Seine Heiligkeit“) zugespielt hatte, hatte vor seiner Festnahme in einem anonym geführten Interview versichert, es gebe im Vatikan etwa 20 Gleichgesinnte. Ermittlungen ergaben, dass Gabriele von einigen Kardinälen „beeinflusst“ worden sei.

Motive unklar

Auch die Motive, die den Butler schon seit 2006 zur systematischen Entwendung päpstlicher Dokumente bewogen haben, bleiben noch zum Großteil ungeklärt. Immerhin hatte die vatikanische Polizei 82 Kisten voller Dokumente in Gabrieles Wohnung beschlagnahmt. Zwar versicherte der Ex-Kammerdiener, er habe „nur aus tiefster Liebe zur Kirche und ihrem sichtbaren Oberhaupt“ gehandelt und dass er sich als „Verbindungsmann des Heiligen Geistes gegen das Böse und die Korruption“ verstanden habe.

Beobachter halten es jedoch für durchaus wahrscheinlich, dass der Butler manipuliert und von Drahtziehern dazu gebracht worden sei, stapelweise Geheimdokumente zu entwenden und an die Medien weiterzugeben. Schwer nachvollziehbar ist außerdem, warum das vatikanische Gericht Gabriele zwar erschwerten Diebstahl, allerdings nicht Rufschädigung vatikanischer Institutionen, Geheimnisverletzung und Anschlag auf die Macht des vatikanischen Staates vorgeworfen hat.

Inzwischen hat der Familienvater Gabriele einen neuen Job. Er arbeitet in der Verwaltung eines zum Vatikan-Staat gehörenden Krankenhauses. Um den Job zu erhalten, musste sich Gabriele schriftlich vor dem Vatikan zum Stillschweigen über seine Jahre im Dienst des Pontifex verpflichten.

religion.ORF.at/APA

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