Theologe: Negativberichte verdeckten positive Impulse

Papst Benedikt XVI. hat nach Einschätzung des Theologen Jan-Heiner Tück während seines Pontifikats viele positive Impulse gesetzt, die jedoch oft von Negativschlagzeilen verdeckt worden seien.

Dass positive Impulse des Papstes oft in Meldungen über negative Vorkommnisse untergegangen seien, habe unter anderem mit Kommunikationspannen im Vatikan zu tun. Aber auch mit der Personalpolitik Benedikts und „Hypotheken des Vorgängerpontifikats“ wie der unzureichenden Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Kleriker zu tun, sagt der Professor für dogmatische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien im Gespräch mit der APA.

„Führungsstil nicht immer glücklich“

Als Beispiel für Kommunikationspannen nennt Tück die „unglückliche Versöhnungsgeste gegenüber der Piusbruderschaft, wo Benedikt XVI. selbst offensichtlich gar nicht adäquat informiert war, dass einer der betroffenen Bischöfe (Richard Williamson, Anm.) ein notorischer Holocaust-Leugner war. Diese Kommunikationspanne deutet darauf hin, dass der Führungsstil insgesamt nicht immer ganz glücklich gewesen ist.“

Theologe Jan-Heiner Tück

kathbild/Franz Josef Rupprecht

Jan-Heiner Tück ist Professor für dogmatische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien

Eine Problematik sieht der Theologe auch in der Personalpolitik Benedikts. "Worin weithin Konsens besteht, ist, dass Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone offensichtlich mit seinem Amt überfordert war. Wenn Papst Benedikt, der selbst eher ein Gelehrter ist, als zweiten Mann jemanden berufen hätte, der die Kompetenzen mitbringt, die er selbst nicht hat, wären manche Pannen wohl vermeidbar gewesen“, sagt Tück.

Erbe Johannes Pauls II.

„Johannes Paul II. war eher ein Charismatiker, der nicht so den Blick für politische und strukturelle Realitäten hatte. Aber er hatte mit Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano jemanden an der Seite, der insgesamt doch gute Arbeit geleistet hat, sodass diese Pannen eben nicht passiert sind.“

Fairerweise müsse man freilich sagen, „dass die mangelnde Aufarbeitung der Missbrauchsskandale teils auch eine Hypothek des Pontifikats Johannes Pauls II. war, wenn Sie etwa an die Übergriffe des Gründers der Legionäre Christi, Marcial Maciel, denken, die lange vertuscht wurden“ – eine Causa, die Benedikt XVI. dann abzuarbeiten gehabt habe. In Österreich etwa wäre „die Affäre (um den damaligen Wiener Erzbischof Hans-Hermann) Groer, wenn es nach Kardinal Ratzinger gegangen wäre, schonungslos aufgearbeitet worden. Damals kamen die Bremsimpulse von Sodano, das hat jüngst Kardinal Christoph Schönborn offengelegt.“

„Positive Impulse“

Benedikt XVI. habe hinsichtlich der Missbrauchsproblematik durch seine Nulltoleranzforderung einen „Paradigmenwechsel“ vollzogen - in dem Sinne, dass es ohne lückenlose Aufarbeitung keine Glaubwürdigkeit gebe. „Anders formuliert: Ohne Paradigmenwechsel weg vom Täterschutz hin zum Opferschutz wird man der Sache nicht gerecht.“

Positive Impulse Benedikts sieht Tück auch in Richtung Islam. Man könnte sagen, dass „dieses unglückliche Zitat der Regensburger Rede“ über den Propheten Mohammed, das zu weltweiten Protesten in der islamischen Welt geführt hatte, „am Ende dann doch den Anstoß gegeben hat für konstruktiv-kritische Dialogmaßnahmen“. Das Pontifikat habe auch die richtige Erweiterung des interreligiösen Dialogs vollzogen: „Johannes Paul II. hatte vor allem das Gespräch mit dem Judentum im Blick, das war auch richtig und wichtig, während jetzt im Pontifikat Benedikts XVI. stärker der Islam als gleichrangiger Gesprächspartner in den Blick rückt.“

Benedikt bejaht Religionsfreiheit

Zu den „wegweisenden Impulsen“ Benedikts zählt für Tück, der auch für die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt, zudem, dass der Papst immer wieder die Frage der Religionsfreiheit und die Lage verfolgter Christen thematisiert habe. „Man meint ja hier oft aus Gründen der Political Correctness nicht ansprechen zu dürfen, dass das Christentum inzwischen global die meist verfolgte Religion ist.“

Unterschiede zwischen Benedikt und seinem Amtsvorgänger sieht Tück vor allem im Stil des Pontifikats, nicht aber hinsichtlich der Bewahrung der Glaubenslehre. „Johannes Paul war ein Meister der symbolischen Gesten. Er hat im Dialog mit dem Judentum auch politisch Zeichen gesetzt, das war beeindruckend.“ Innerkirchlich habe er hingegen „die Reformdiskurse kurz gehalten“, sagt der Theologe.

Joseph Ratzinger sei demgegenüber „eher der introvertierte Gelehrte, der auch die ganzen Superlative - die vielen Reisen, die vielen Heiligsprechungen, alles das, was Johannes Paul ausgezeichnet hat - zurückgenommen hat“. In einer Zeit der „religionsfreundlichen Gottlosigkeit und der sanften Verblödung durch Esoterik“ habe er versucht, für die inhaltliche Grundbotschaft des Christentums zu werben. Mit seinen Enzykliken „Deus Caritas est“ und „Spe salvi“, aber auch durch viele Ansprachen und die Trilogie seiner Jesus-Bücher habe er „denkwürdige Impulse der Glaubenserneuerung“ gesetzt.

„Amtsverzicht bringt Entmystifizierung des Papstamtes“

Große Bedeutung misst Tück auch dem Gestus des Amtsverzichts Benedikts bei, den er als „bleibendes Erbe“ dieses Papstes sieht: „Bei Johannes Paul II. sind Amt und Person miteinander verschliffen worden, das hat zu einer gewissen Überhöhung des Papsttums geführt. Denken Sie an das öffentlich inszenierte Leiden und Sterben des kranken Pontifex.“ Johannes Paul habe damit ein großes Zeichen gesetzt: „Auch Kranke und Sterbende haben Würde.“

Benedikt hingegen entkopple Amt und Person, indem er freiwillig zurücktrete, was auch eine „ökumenisch bedeutsame Geste“ sei, weil sie eine gewisse Entmystifizierung des Papstamtes mit sich bringe. „Die Nachfolger werden sich zu einem bestimmten Zeitpunkt fragen müssen, bin ich wirklich noch in der Lage, dieses Amt mit seinem anspruchsvollen Arbeitsprofil erfüllen und Oberhaupt einer globalen Kirche sein zu können?“

APA

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