Kardinal Tagle: Der Menschenfreund

Er fährt mit Bus und Bahn, isst mit Bettlern zu Mittag und findet klare Worte gegen Missbrauch. Die Philippiner würden ihren Kardinal aus Manila gerne schon bald als Papst in Rom sehen.

Die aussichtsreichsten Kandidaten

religion.ORF.at stellt von 6. bis 11. März die aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von Papst Benedikt XVI. vor.

Seit Oktober 2011 ist Luis Antonio Tagle Erzbischof in einer der großen Diözesen der Welt, der Erzdiözese Manila. Das ist ein nicht nur kirchlich, sondern auch politisch einflussreicher Posten. Dennoch kann man den Kardinal nach wie vor beim Busfahren antreffen. Er sei stolz darauf, kein eigenes Auto zu besitzen und so der Isolation zu entgehen, die hohe Leitungsämter mit sich brächten, so Tagle. Dabei müsste sich das „Kommunikationstalent“ Tagle derzeit wohl eher keine Sorgen wegen Isolation oder Abgehobenheit machen.

Aus seiner Diözese wird berichtet, dass er mit seiner offenen und einfachen Art auf die Menschen zugeht, mit Bettlern zu Mittag isst und sich nicht scheut, auch die finsteren Ecken der Großstadt Manila zu besuchen. Immer wieder sind die Menschen überrascht, dass ihr Gegenüber nicht einfacher Priester, sondern der Erzbischof selbst sei, erzählt man weit über die Grenzen von Manila hinaus.

Kardinal Tagle nach dem Aschermittwoch Gottesdienst in Manila

REUTERS/Erik De Castro

Kardinal Tagle am Aschermittwoch in Manila. Nach dem Gottesdienst posiert er mit Gemeindemitgliedern für ein Erinnerungsfoto.

Nahe bei den Menschen

Von seinen Kontakten mit den Menschen erzählt Kardinal Tagle gerne bei seinen Vorträgen und Predigten, von denen sich auch viele als Videos im Internet wiederfinden. Er sei es, der in den Begegnungen mit den Menschen etwas lerne. Zum Beispiel was Gottvertrauen bedeute, habe er in der Begegnung mit einer einfachen Geschäftsfrau erkannt, erzählt er beim Internationalen Eucharistischen Kongress in Dublin. Tagle schafft es bei seinen Ansprachen immer wieder, dass die Menschen gebannt an seinen Lippen hängen und nicht selten zu Tränen gerührt sind.

Aber auch er bekennt, „nahe am Wasser gebaut zu sein“. Als ihn Papst Benedikt XVI. im vergangenen November in den Kardinalsrang erhob, weinte er. Es sei ein Moment voll Glück, aber auch des Zitterns vor der übersteigenden Größe der neuen Aufgabe gewesen, sagte er damals zu Journalisten.

Zweitjüngster Kardinal

Luis Antonio Tagle ist mit seinen 55 Jahren der zweitjüngste Kardinal im Kollegium und sieht für viele noch jünger aus. Als Josef Ratzinger 1997 Tagle dem damaligen Papst Johannes Paul II. als neues Mitglied der Internationalen Theologenkommission vorstellte, soll er Tagle im Scherz als „Erstkommunionkind“ bezeichnet haben.

Tagle wurde im Juni 1957 in Manila geboren, studierte zunächst Philosophie und dann Theologie. 1982 wurde er zum Priester geweiht. Nach einem Jahr Tätigkeit als Pfarrer wurde er Regens im Priesterseminar von Imus. Von 1987 bis 1991 absolvierte er mit „summa cum laude“ sein Promotionsstudium an der Katholischen Universität von Amerika in Washington D.C..

Sowohl in seiner Doktorarbeit als auch später beschäftigte er sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Seine Kritiker werfen ihm eine zu progressive Auslegung der Konzilstexte vor. 2001 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Imus und zehn Jahre später wird Luis Antonio Tagle Erzbischof von Manila.

Neuevangelisierung

In Tagles Texten und Videobotschaften ist die „Neuevangelisierung“ ein wichtiges Anliegen. Für den jungen Kardinal ist der Glaube aber nicht nur eine Sache der Religion. „Es geht um den Glauben an die Menschen. Wenn wir an Beziehungen und Freundschaft glauben, kann sich Gesellschaft verändern“, ist der Erzbischof überzeugt. Es sei ihm wichtig, für den Glauben neue Ausdrucksformen zu suchen und zu finden. „Dabei müssen wir uns selbst als Kirche hinterfragen“, erzählt der Kardinal in zahlreichen YouTube-Videos: „Haben wir Zeugnis für das Evangelium abgelegt, hinterfragen wir unsere Bequemlichkeit und unsere Laxheit?“

Klare Worte gegen Missbrauch

Klare Worte findet Tagle in Bezug auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. „Man darf die Probleme nicht wegwischen oder gar unter den Tisch kehren“. Er möchte als „Pastor“ an die Sache herangehen und sich um Heilung bemühen, betont er in zahlreichen Interviews. „Es ist die Aufgabe der Kirche, wie eine Mutter zuerst für die Opfer da zu sein.“ Es gehe darum, die Wahrheit aufzudecken und für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Kirche sei aber auch eine Kirche der Sünder und für die Sünder. So sei es auch ihre Aufgabe, für die Täter da zu sein. Diese umfassende Sorge für alle, sei eine sehr asiatische Heransgehensweise, so Tagle.

Klare Worte, die Tagle in seiner Heimat „außerordentlich beliebt" machen, erzählt der Sprecher der katholischen Kirche auf den Philippinen und setzt nach: „Wir wollen einen Philippiner als Papst“.

Marcus Marschalek, religion.ORF.at

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