Kindheitserinnerungen von Papst Franziskus

Während die Medien weltweit von der Wahl von Jorge Mario Bergoglio zu Papst Franziskus überrumpelt gewesen sind und kaum über seine Person Bescheid gewusst haben, tauchen nun allmählich Anekdoten über ihn auf.

Spanischsprachige Medien gruben Fragmente und frühere Aussagen des argentinischen Petrus-Nachfolgers aus, die Einblicke in sein Leben geben. Eines der letzten Interviews vor seiner Wahl zum Papst gab Bergoglio am 1. November 2012 der lokalen Radiostation La 96, Voz de Caacupe. Er kam dabei unter anderem auf seine Kindheit und die Berufung zum Priester zu sprechen.

Der Sender, der von der im Armenviertel Villa 21 - 24 y Zabaleta im Stadtteil Barracas im südöstlichen Buenos Aires gelegenen Pfarre Caacupe betrieben wird, lud am Wochenende Ausschnitte dieses Gesprächs auf die Videoplattform YouTube hoch. Wie die Radiostation auf ihrer Website mitteilt, besuchte der frühere Kardinal Bergoglio bis zuletzt immer wieder die 1976 gegründete Pfarre.

Pendeln zwischen Eltern und Großeltern

An viele Details seiner Kindheit erinnere er sich nicht mehr, so der damalige Kardinal Bergoglio, jedoch sei er von klein auf zwischen dem Eltern- und Großelternhaus gependelt: „Der nächste Bruder wurde nur 13 Monate nach mir geboren. Die Mutter war mit uns beiden überfordert und hat mich morgens zur Großmutter gebracht, nachmittags wieder abgeholt.“

Jorge Mario Bergoglio als Kind

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Jorge Mario Bergoglio als Bub

Seine ersten Erinnerungen seien somit eher jene an die Großmutter, die er als „Ressource für das Leben“ beschrieb. „Sie war auch jene, die mich das Beten lehrte und mir Heiligengeschichten erzählte.“ Da die Großeltern Einwanderer aus dem italienischen Piemont waren, habe er zuerst die piemontesische Sprache gelernt und später erst Spanisch.

Seine Erstkommunion, zu der Eltern und Großeltern gekommen seien, habe er in der Kapelle Zur göttlichen Barmherzigkeit in der Nähe seines Elternhauses empfangen, da die Pfarrkirche weit entfernt war, so Bergoglio. Der Gedanke, Priester zu werden, sei ihm bereits in der Kindheit einmal gekommen - aber nur „genau so wie es anderen in diesem Alter einfällt, Ingenieur, Arzt oder Musiker zu werden“, relativierte der damalige Kardinal im Interview.

Eine definitive Berufung zum Priestertum habe er jedoch erst später, während der Ausbildung zum Chemiker, verspürt, „an einem 21. September“, wie Bergoglio betonte. Er sei bei einem Spaziergang mit Freunden an der Kirche San Jose im Stadtviertel Flores vorbeigekommen - nur zwei Straßen entfernt von dem Haus, in dem er mit seinen Geschwistern und Eltern bis zum Eintritt ins Jesuitenseminar lebte. Er habe die dunkle Kirche betreten und darin einen ihm unbekannten Priester gesehen, der „im letzten Beichtstuhl der linken Seite vor dem Altar“ Platz genommen habe.

„Gespürt, dass ich Priester sein musste“

Was ihm dann geschehen sei, wisse er nicht, erzählte Bergoglio, „ich fühlte mich, als ob mich jemand in den Beichtstuhl hineinzog“. Er habe hier am Ende der Beichte „gespürt, dass ich Priester sein musste, und ich zweifelte nicht daran“, so der heutige Papst. Später habe er erfahren, dass sein Beichtpriester, der aus der Provinz Corrientes im Nordosten des Landes stammte und als Aushilfe in der Kirche Messe lesen sollte, damals bereits an Leukämie litt und ein Jahr später verstarb.

Die schönsten Momente seiner Priester- und Bischofszeit seien jene gewesen, so Bergoglio, „die ich mit dem Volk verbrachte. Das bleibt mir für immer im Herzen: gemeinsam mit dem Volk gegangen zu sein auf der Suche nach Jesus, so viele Dinge gehört und so viel Treue gelernt zu haben.“ Diese Erinnerungen würden ihn bis zum Tod begleiten, erklärte der Papst.

„Konnte nicht Nein sagen“

Auf der Suche nach Auskunftspersonen nach der Kindheitszeit befragte die spanische Zeitung „ABC“ Maria Elena Bergoglio, die einzige heute noch lebende, um elf Jahre jüngere Schwester des heutigen Papstes. In einem zweiminütigen Telefonanruf am Samstag nach der Wahl habe Franziskus ausgerichtet, sie solle der ganzen Familie ausrichten, dass es ihm gut gehe - „die Dinge hätten sich so ergeben, ich konnte nicht Nein sagen“, habe er dabei die Wahl kommentiert, so die heute in Ituzaingo, einem Vorort von Buenos Aires, wohnende Bergoglio.

Die Familie Papst Franziskus'

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V. l. n. r.: hinten Bruder Alberto Horacio, Jorge Mario Bergoglio, Bruder Oscar Adrian und Schwester Marta Regina, vorne Schwester Maria Elena, Mutter Regina und Vater Mario Jose Francisco

Kindheitsanekdoten könne sie aufgrund des Altersunterschiedes keine beisteuern, so die Papst-Schwester, Jorge Mario sei ihr gegenüber jedoch „immer sehr schützend und liebevoll“ gewesen, besonders aufgrund des frühen Todes des Vaters mit 51 Jahren wegen einer Herzerkrankung.

Neffen Schimpfwörter beigebracht

„Bereits mit Kollar“ habe der heutige Papst seinem Neffen, der ebenfalls Jorge hieß und zugleich sein Patenkind war, Schimpfwörter beigebracht, zu ihrem eigenen Unmut, so Maria Elena Bergoglio. Das habe zu einer peinlichen Situation geführt, als ihr Bruder „bei einem wichtigen Gottesdienst“ mit vielen Priestern zu predigen begonnen habe und ihr Sohn in der Überraschung beim Anblick des Onkels „einen sehr schlimmen Ausdruck“ - für alle hörbar - in die Stille schallen ließ. „Nach der Messe kam Jorge zu uns und konnte nicht mehr zu lachen aufhören“, so die Schwester. Zudem habe ihr Bruder den Schnuller des Kindes in Whisky getaucht. Das heitere Gemüt und das Witzerzählen habe ihr Bruder vom Vater geerbt, so Bergoglio.

Über die Zeit der Militärjunta befragt, sagte die Schwester des Papstes, sie verspüre „Ruhe des Gewissens, dass mein Bruder daran nicht teilgenommen hat. Im Gegenteil weiß ich, dass er geholfen hat, um viele Menschen zu retten“.

Sie spüre weiters, dass die Kirche bei der Ernennung ihres Bruders zum Papst „die Tore geöffnet hat und hinausgegangen ist, um der Welt zu sagen: Ich bin hier und gehöre allen, nicht nur einem einzigen Kontinent. Die Leitungspersonen der Kirche können wechseln, damit es keinen Stillstand gibt, doch der Wechsel muss von allen geschehen. Auch die überzeugten Gläubigen müssen sich ändern, um im Glauben zu wachsen“, so die in der spanischen Zeitung zitierte Schwester des Papstes.

religion.ORF.at/APA