„Der Buddhismus ist eine passive Religion“

Vor dem großen offiziellen Festakt anlässlich 30 Jahre Buddhismus in Österreich am Samstag traf religion.ORF.at den Präsidenten der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft, Gerhard Weißgrab, zum Interview.

Gerhard Weißgrab ist im Stress. Der 61-jährige Pensionist hat derzeit viel zu tun - schließlich ist 2013 das große Jubiläumsjahr. Vor 30 Jahren sprach die Republik Österreich - als erstes Land in Europa - dem Buddhismus die staatliche Anerkennung aus. Für Weißgrab, den höchsten Repräsentaten des Buddhismus in Österreich, bedeutet das viel Arbeit, denn dieses historische Ereignis wird überall in Österreich mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert.

Gerhard Weißgrab

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Übertritt dauerte 15 Jahre

Gerhard Weißgrab konvertierte erst relativ spät zum Buddhismus. In den 90er-Jahren trat er während einer Sri-Lanka-Reise erstmals in Kontakt mit der Religion des Buddha. Sein Übertritt habe insgesamt etwa 15 Jahre gedauert, sagt er heute. Seit 2006 ist Weißgrab Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft (ÖBR).

Herr Weißgrab, Sie waren zwar an den Anfängen der ÖBR noch nicht beteiligt, aber dennoch: Was hat sich in diesen 30 Jahren verändert?

Sicher sehr vieles. Zu Beginn mit der Gründung und dann in der ersten Zeit hat die Religionsgesellschaft einfach noch sehr viel mit sich selbst zu tun gehabt. Da mussten erst Strukturen geschaffen werden, damit auch die verschiedenen buddhistischen Traditionen in Österreich Fuß fassen können. Das war also eine eher zurückgezogene Tätigkeit, man hat es auch vermieden, sich zum Tagesgeschehen zu Wort zu melden.

Warum wollte man das vermeiden?

Es ist ja auch heute noch so, dass der Buddhismus nicht unbedingt überall seinen Senf dazu gibt. Man lässt die Dinge einfach laufen, nimmt vieles gelassener als andere. Es dauert einfach seine Zeit und bedarf gewisser sehr großer Impulse, damit wir uns öffentlich äußern. Ich glaube, dass das grundsätzlich eine Haltung des Buddhismus ist. Außerdem schwimmen wir nicht unbedingt in Kapazitäten. Aber dennoch: Hier hat sich einiges getan. Wir sind jetzt wesentlich präsenter in der Öffentlichkeit, als wir es vor 30 Jahren oder auch vor zehn Jahren waren.

Können Sie da Beispiele nennen?

Es gibt inzwischen doch einige buddhistische Initiativen, auch im sozialen Bereich. Es gibt ein buddhistisches mobiles Hospiz, das „Netzwerk achtsame Wirtschaft“, Gefängnisbetreuung, Beratungsnetzwerke - also da passiert heute viel mehr als früher, was den Bezug zur Gesellschaft angeht. Da wird soziale Verantwortung wahrgenommen, aber durchaus mit einem gewissen buddhistischen Charakter.

Wie äußert sich das?

Es geht dabei zunänchst einmal auch darum, sich selbst freizumachen von geistigen Verblendungen und damit fitter für das Helfen im sozialen Bereich. Diese Reihenfolge - bei sich selbst zu beginnen und erst dann hinauszugehen, um zu helfen - ist zutiefst buddhistisch.

Wenn man also in der Öffentlichkeit vom Buddhismus weniger hört als von anderen Religionen, dann liegt das an der Religion an sich?

Richtig. Der Buddhismus ist grundsätzlich eher passiv, während etwa das Christentum eher aggressiv ist. Das meine ich aber völlig wertfrei. Der Buddhismus missioniert nicht, er geht nicht hinaus, sondern man geht hinein und holt sich die Dinge, die man braucht. Das Christentum geht eher hinaus. Beides hat seine positiven und negativen Seiten. Das Christentum ist zum Beispiel auch, was die Caritas angeht, aggressiv, geht also auf die Menschen zu. Der Buddhismus ist auch hier eher passiv. Da muss eher der, der Hilfe braucht, von sich aus kommen. Das sind Felder, wo die beiden voneinander vielleicht etwas lernen können.

Sie haben angesprochen, dass man sich im Buddhismus zunächst mit sich selbst beschäftigt. Wozu braucht es dann überhaupt eine Organisation wie die Buddhistische Religionsgesellschaft?

So etwas braucht es vor allem im Westen, weil es hier einfach die Anforderung vonseiten des Staates gibt, mit „dem Buddhismus“ zu sprechen. Daher gibt es eben die Religionsgesellschaft, die die verschiedenen Traditionen unter sich vereint, aber auch den Boden aufbereitet, auf dem diese sich weiter entwickeln können, um dann wiederum den einzelnen Buddhisten Anleitung geben zu können.

Buddhistische Mönche unterhalten sich

REUTERS/Damir Sagolj

Ursprünglich existierten die verschiedenen buddhistischen Traditionen in Asien parallel, ohne einander zu begegnen. Erst durch das Aufeinandertreffen in Europa wurde Dialog notwendig, so Weißgrab.

Gibt es so etwas wie einen „westlichen“, einen „europäischen“ oder gar einen „österreichischen“ Buddhismus?

Nein, das würde ich nicht sagen. Derzeit gibt es asiatische Traditionen, die eben hier im Westen vertreten sind. Aber es gibt natürlich westliche Menschen, die diese Traditionen praktizieren. Deshalb wird auch das, was in der Geschichte des Buddhismus immer passiert ist, nämlich dass in neuen Regionen neue Schulen entstehen, auch in Europa passieren.

Festakt

30 Jahre staatliche Anerkennung der buddhistischen Religion in Österreich
Samstag, 6. April 2013, 9.30 Uhr, im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2, 1010 Wien. Die Veranstaltung ist ausgebucht.

Aber so weit sind wir noch nicht. Sehr wohl neu ist, dass die asiatischen Traditionen an einem Ort zusammenkommen und zwangsläufig miteinander in einen Dialog treten, der in Asien nie geschehen ist. Da gab es eine Region, einen Buddhismus, andere Region, anderer Buddhismus - Dialog war also nicht notwendig.

Kritiker sprechen dem Buddhismus immer wieder ab, eine richtige Religion zu sein. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

Dieser „Vorwurf“, wenn man so will, stammt aus einer Zeit vor mehr als hundert Jahren, in der noch die Gleichung „Gott = Religion“ galt. Der Buddhismus wurde also „nur“ als Philosophie angesehen, weil er keinen Gott kennt. Das Thema ist eigentlich - von wenigen Ausnahmen in sehr konservativen Kreisen abgesehen - vom Tisch. Aus meiner Sicht ist klar, dass der Buddhismus zu den Weltreligionen gehört.

Gleichzeitig ist es mir persönlich als Buddhist wurscht. Es geht um den Übungsweg - ob der jetzt Religion heißt oder Philosophie oder Apfelsaft ist egal, solange ich ihn erfolgreich umsetzen kann. Als Präsident der ÖBR ist es mir natürlich nicht egal, weil die Anerkennung als Religion natürlich sehr wichtig für uns ist.

Der Dalai Lama hat einmal gesagt, die Menschen im Westen sollten bei ihren religiösen Traditionen bleiben und sich nicht dem Buddhismus zuwenden. Provokant gefragt: Was macht dann der Buddhismus überhaupt in Europa?

Ich stehe voll hinter diesem Zitat, man muss es allerdings zu Ende zitieren. Denn der Dalai Lama sagt weiter: Erst dann, wenn du geprüft hast und draufgekommen bist, dass die eigene Religion und Tradition dich nicht mehr trägt, kannst du wechseln. In der vollen Länge bin ich mit diesem Zitat völlig einverstanden.

Funktioniert das auch in der Praxis so? Sind wirklich alle Übertritte zum Buddhismus, die Sie erleben, wohlüberlegt?

Im Großen und Ganzen ja. Ich glaube nicht, dass jemand, der direkt aus dem Christentum in den Buddhismus übertritt, sofort damit glücklich werden kann. Das sind meistens sehr lange Prozesse. Wir spüren auch keine Trends. Wenn zum Beispiel der Dalai Lama nach Österreich kommt und der große Hype ausbricht, sehen wir keinen Effekt auf unsere Mitgliederzahlen.

Buddha-Statuen

REUTERS/Claro Cortes IV

Das Modephänomen „Wellness-Buddhismus“ ist Weißgrab ein Dorn im Auge

Dennoch scheint der Buddhismus - oder zumindest buddhistische Versatzstücke - durchaus ein Modephänomen zu sein, das fast in einem Atemzug mit der Esoterik zu nennen ist. Geht das an der ÖBR völlig vorbei?

Natürlich gibt es das, das sieht man ja auch an den Schwachsinnigkeiten der Geschäfte, die voll sind von irgendwelchen Buddha-Statuen und sonstigen Dingen. Da wird der Buddhismus dargestellt als Wohlfühl- und Wellness-Geschichte, man profitiert vom nach wie vor guten Image des Buddhismus, von der Ausstrahlung dieser Symbole. Mit dem echten Buddhismus hat das aber genauso viel zu tun wie mit dem Christentum, nämlich gar nichts.

Kommen Menschen zu Ihnen, die diesem Wellness-Buddhismus anhängen?

Wenn jemand zu uns kommt, ist er meistens schon wesentlich weiter. Es gibt aber keine Prüfung vonseiten der ÖBR von neuen Mitgliedern. Wir maßen uns uns nicht an, zu beurteilen, wie ernsthaft jemand auf dem Weg ist.

Wer wird denn in Österreich Buddhist? Vergrämte Katholiken?

Auch die eher nicht. Wir sind nicht die richtige Anlaufstelle für unzufriedene Katholiken. Die sind vermutlich bei der evangelischen Kirche besser aufgehoben. Wir sind eher Anlaufstelle für die Leute, die sich von den monotheistischen Religionen bereits verabschiedet haben, durchaus auch für Atheisten zum Beispiel.

Schmerzt Sie dieses Image des Buddhismus als nicht ganz ernst zu nehmende Modeerscheinung in der Nähe der Esoterik?

Na ja, es macht keinen Spaß. In diesem Zusammenhang ist so ein Jubiläumsjahr schon eine Gelegenheit. Da erfülle auch ich eine Mission - nicht in dem Sinn, die Leute „umzudrehen“, sondern sie aufzuklären, was Buddhismus wirklich ist, ihnen Tore zu öffnen. Ich spüre schon immer wieder bei Veranstaltungen: Die Zahl der Suchenden ist eine wachsende, und für die sind wir eine Anlaufstelle.

Gerhard Weißgrab bei der Verleihung des Goldenen Ehrenkreuzes

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Im Jahr 2012 wurde Gerhard Weißgrab (hier mit seiner Ehefrau) mit dem großen Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet

Zuletzt machte der Buddhismus in Österreich Schlagzeilen, als im niederösterreichischen Gföhl ein sogenannter Stupa gebaut werden sollte. Nach einer Volksbefragung wurde nichts aus dem Projekt, auch aufgrund einer negativen Stimmungsmache aus dem politisch rechten Lager. Wie haben Sie diese Geschichte erlebt?

Ich habe endlich einmal gewusst, wie sich Muslime fühlen müssen (lacht). Es war einerseits sehr überraschend, andererseits gebe ich durchaus zu, dass wir da etwas blauäugig an die Sache herangegangen sind. Man hätte vielleicht im Vorfeld noch mehr Informationsarbeit leisten müssen. Aber dass dann Leute wie der Stadler oder die Piusbrüder aufstehen und Stimmung machen - dagegen ist man wohl machtlos. Auch Bischof Küng hat sich hier meiner Meinung nach in einer Weise geäußert, die ihm im Sinne des interreligiösen Dialogs eigentlich nicht zusteht.

Stichwort „interreligiöser Dialog“ - wie verorten sie den Buddhismus in diesem Zusammenhang in Österreich?

Ich erlebe das sehr positiv. Wenn es Probleme gibt, dann hat das eigentlich immer mit den Personen zu tun, die am Werk sind, nicht zu sehr mit den Religionen an sich. Ansonsten sehe ich da eigentlich von allen Seiten ein sehr ernsthaftes Bemühen um einen konstruktiven Dialog.

Welche Vision haben Sie für die ÖBR und den Buddhismus in Österreich für die Zukunft?

Ich würde mir wünschen, dass sich das Wachstum so wie bisher fortsetzt und dass wir es schaffen, Irrtümer in der Bevölkerung abzubauen. Intern würde ich es begrüßen, wenn ein größeres Gruppenbewusstsein des österreichischen Buddhismus entsteht, wenn diese Klammer, die die ÖBR über den einzelnen Gruppierungen bildet, stärker spürbar wird.

Michael Weiß, religion.ORF.at

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