Theologe: Kirche kann von Ausgetretenen lernen

Die Kirche kann von den Ausgetretenen lernen: Bei dieser These berief sich der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher bei einem Studientag der Diözese Linz auf das Zweite Vatikanische Konzil.

Mit Kategorien wie dem universalen Heilswillen Gottes oder der Berufung aller Menschen zur Heiligkeit sei dort ein völlig neues Verhältnis zu den Nichtkatholiken entwickelt worden. Diese seien demzufolge nicht mehr „die, die uns demütigen“, und somit Gegner, sondern mögliche Bündnispartner beim „rechten Aufbau der Gesellschaft und der Rettung der Person“, zitierte Bucher aus der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“.

Diese anderen „wissen etwas über uns, was wir nicht wissen“, plädierte der Theologe laut einer Aussendung der Diözese Linz am Freitag dafür, diesen „Erkenntnisort für die Kirche“ nicht zu vernachlässigen. Freilich würde das auch mehr Flexibilität und Mut zu neuen Wegen seitens der Kirche erfordern.

Mehr offene Kommunikationsräume

Um mit der wachsenden Gruppe der Ausgetretenen in Kontakt zu kommen, brauche die Kirche mehr offene Kommunikationsräume. Historisch gewachsene Sozialformen wie die Pfarrgemeinde kämen dadurch auf den Prüfstand: „Pastoral denken heißt, von den Aufgaben her zu denken, nicht von den Sozialformen oder Institutionen her“.

Rainer Bucher

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Pastoraltheologe Rainer Bucher

Eine Konkretisierung dessen brachte Pfarrer Franz Lauterbacher OSB von der Stadtpfarre Salzburg-Mülln in einen Workshop ein. Er führt das erfolgreiche Projekt der Wiederaufnahme Ausgetretener durch ein niederschwelliges Kontaktangebot in einem Gasthaus durch. Der neutrale Ort mache es Menschen leichter wieder einzutreten, so Lauterbacher: „Mitzubringen sind nur der Taufschein und die Sehnsucht nach der Gemeinschaft der Kirche.“

An dem Studientag am Donnerstag nahmen 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diözese Linz teil. Veranstalter war das diözesane Institut für pastorale Fortbildung in Kooperation mit dem Kirchenbeitragsreferat und dem Dekanatssekretariat Linz/Traun.

Ausgetretenen wird Gespräch angeboten

Laut Kirchenbeitragsstellenleiter Alois Dambachmayr traten 2012 7.886 Personen aus der katholischen Kirche in Oberösterreich aus - mehr als 1.000 taten das, obwohl sie keinen Kirchenbeitrag zahlen mussten. Als Austrittsgründe nannte Dambachmayr vier Motivtypen: Manche treten aus Verärgerung bei einem konkreten Anlassfall aus, manche stehen der Kirche gleichgültig gegenüber. Anderee wollen ein besonderes Zeichen setzen, etwa für oder gegen bestimmte Reformen, eine letzte Gruppe gebe keinerlei Gründe für den Austritt an.

Alle Ausgetretenen in der Diözese Linz erhalten ein Schreiben des Bischofs, das verdeutliche: Es ist der Kirche nicht egal, wenn jemand austritt. Es wird nach den Gründen gefragt und ein Gespräch angeboten. Dambachmayr plädierte für eine aktive Reaktion der Pfarre vor Ort, denn „die Menschen wollen gehört werden“. Dabei gehe es vordergründig nicht um den Kirchenbeitrag, sondern um die Gemeinschaft der Kirche. Geeignete Personen in den Pfarren sollten dies gut vermitteln können.

Religion bestimmt Biografien nicht mehr

Pastoraltheologe Bucher wies darauf hin, dass nicht nur über die vielschichtigen Austrittsgründe wenig bekannt sei, sondern auch die Motive, sich am kirchlichen Leben zu beteiligen, kaum erforscht seien. Sicher ist laut Bucher jedoch, dass die Zeit, in der Religion biografische wie gesellschaftliche Kontexte bestimmte, „radikal an ihr Ende gekommen“ sei.

Die Menschen nutzten ihre neue Freiheit dazu, „situative biografische Bedürfnisse“ an die Kirche zu richten. Tradierte Strukturen und Machtgefüge, Rollen oder Orte gerieten demgegenüber immer mehr ins Hintertreffen. „Die Kirche ist am Markt angekommen - auch wenn sie dem Markt nicht verfallen darf“, sagte Bucher. Und pointiert setzte er nach: „Die Produktionsbedingungen von Pastoral entsprechen nicht mehr den Konsumbedingungen von Pastoral.“

Damit verbundene Probleme seien nicht mehr punktuell bearbeitbar, sondern erforderten eine „Neuformatierung von Kirche“. Bucher warnte angesichts der Herausforderungen der Alltagsseelsorge auch vor dem „Hamsterrad des Mehrmachens“. Das sei der „Weg ins kollektive Burn-Out“.

Noch wenig Erfahrung mit „Blick von außen“

Die vom Konzil angestoßenen Reformen einschließlich „des neuen Umgangs mit der Welt - dem Außen - den Anderen“ seien noch wenig umgesetzt, berief sich Bucher auch auf eine kürzlich von Papst Franziskus formulierte Diagnose. Die kirchliche Sichtweise der Ausgetretenen sei widersprüchlich. Kirchenrechtlich werde festgehalten, „dass ein Austritt wirklich ein Austritt ist“. Die Dogmatik dagegen sage, die mit der Taufe begründete Heilsgemeinschaft ende nie. Damit würden die Ausgetretenen aber nicht ernst genommen, gab Bucher zu bedenken.

Nur unter pastoraler Perspektive im Sinne des Konzils werde das Problem wirklich sichtbar, denn Kirchenrecht und Dogmatik seien „Perspektiven des Innen“, so Bucher. Ausgetretenen würden die Kirche auf die Frage zurückwerfen, wofür sie überhaupt da ist. Damit habe Kirche in den letzten 1.500 Jahren „Machtgeschichte“ keine Erfahrungen gemacht. Unter den nun unter geänderten Rahmenbedingungen müsse sie sich dem aber stellen, betonte Bucher.

Kirchenaustritt als „Signal“

Der Kirchenaustritt sei ein „Signal, dass Kirche dekonstruiert wird und wir sie in neuer Form wieder zusammenbauen müssen“. Dafür unverzichtbar sei Vertrauen auf spirituelle und theologische Substanz und auf den Heiligen Geist. Da offensichtlich sei, dass Kirche den Ausgetretenen keine positiven Erfahrungen zugänglich machen konnte, gilt es laut Bucher ehrlich zu fragen: „Warum haben wir Ausgetretenen keinen neuen Himmel und keine neue Erde eröffnet? Warum haben wir den Menschen nicht den Weg des Abenteuers mit Gott erschlossen?“

Es gelte neue Räume zu schaffen, wo heutige Biografien und Glaubenseinstellungen in Kommunikation und auch in Konfrontation mit christlicher Tradition gebracht wird. Bucher plädierte für „situative Orte ehrlicher Kommunikation, wo auch die eigene dunkle Seite, der eigene Zweifel pastoraler Mitarbeiter zur Sprache kommen kann“.

KAP

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