Theologe: Kirche der Armen bei Papst im Zentrum

Papst Franziskus hat in den ersten Wochen und Monaten seiner Amtszeit nach Einschätzung des Theologen Kurt Appel vor allem Schritte in Richtung einer Kirche der Armen gesetzt.

„Ich denke, die Namenswahl ‚Franz‘ - nach Franz von Assisi - ist auch ein klares Signal dafür, dass das tatsächlich das Zielpublikum des Papstes ist - die Leute, die irgendwo in den neuen Satellitenstädten leben, die arm und entwurzelt sind“, erklärte der Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Wien im Gespräch mit der APA.

In nicht einmal 100 Tagen im Amt sei der neue Papst für viele zu einer „Symbolfigur“ geworden, so Appel. „Ich habe das Gefühl, dass er in seinen Akzenten eine wirkliche Identifikationsfigur für viele Arme ist und in der Zukunft noch viel stärker sein wird.“

Bewusst Zeichen gesetzt

Franziskus habe sehr bewusst Zeichen gesetzt - indem er unter die Leute gehe, im Gästehaus statt im Palast wohne, sich als „Bischof von Rom“ bezeichne, aber auch, indem er „sehr dezidiert gesagt hat, es muss was weitergehen bei der Seligsprechung von Oscar Romero“, dem 1980 während eines Gottesdienstes ermordeten Erzbischof von San Salvador, der als Anwalt für die Rechte der Armen und Unterdrückten bekannt war.

„Ich glaube, das ist die symbolische Ebene, die er vermitteln will: Die Kirche hat mitten unter den Leuten und mit den Armen zu sein, und ich denke, das wird auch Auswirkungen auf das ganze kirchliche Gefüge haben.“ Die Frage „Seid ihr unter den Leuten?“ werde so auch zum Maßstab für Priester und Bischöfe. „Das sind wirkliche Akzentverschiebungen.“

Als Signal wertet der Theologe auch, dass Franziskus den Erzbischof von Tegucigalpa, Oscar Andres Rodriguez Maradiaga, zum Leiter einer Kardinalsgruppe bestimmt hat, die ihn bei der Regierung der Weltkirche unterstützen soll. „Maradiaga ist selber einer, der ganz vehement in Richtung einer Kirche der Armen geht, sicher einer der wenigen, der das bedingungslos vertritt.“

Glaubwürdigkeit und neue Netzwerke

Der Papst wird sein Augenmerk nach Ansicht Appels nun vor allem darauf legen, „dass die Kirche vor Ort mit glaubwürdigen Personen vertreten ist, die wieder neue Netzwerke schaffen“. Einige Orden hätten in der Vergangenheit in diese Richtung gearbeitet, seien jedoch oft behindert worden. „Ich denke, denen muss man wieder mehr Freiräume lassen. Und das setzt auf der anderen Seite auch voraus, dass Bischöfe ernannt werden, die diese Herausforderungen verstehen, und ich glaube, das wird die Hauptaufgabe dieses Papstes sein.“

In den vergangenen 30 Jahren sei bei Bischofsernennungen „viel schiefgegangen“, sagte Appel. In Lateinamerika seien oft Leute ernannt worden, „die für alles stehen, nur nicht für eine Kirche der Armen, und in Europa vielfach Kandidaten, die für alles stehen, nur nicht für einen Dialog mit der jeweiligen Kultur, das muss man schon deutlich sagen. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber das waren schon sehr mediokre Gestalten, die da teilweise aufgeschwemmt wurden.“

„Intellektuelle Ausdünnung“ in der Kirche

Generell konstatiert der Fundamentaltheologe eine „intellektuelle Ausdünnung“ der katholischen Kirche, was ihrem neuen Oberhaupt Reformen auch nicht unbedingt erleichtere. In Europa etwa sei die Kirche „als geistige Größe relativ wenig präsent“: „Es gibt ganz wenige Bischöfe, die einen intellektuellen Dialog auf Höhe der Zeit führen können.“ Auch viele der Probleme, die es an der Kurie gegeben habe, hätten damit zu tun gehabt, „dass das zum Teil schwache Leute waren“, meinte Appel.

„Wenn man an Paul VI. denkt, der hat ein Weltepiskopat gehabt, das waren zu einem guten Teil Leute, die wären wahrscheinlich auch außerhalb der katholischen Kirche in gesellschaftlichen Spitzenpositionen gewesen. Ich denke, (Kardinal Franz, Anm.) König in Österreich war da nicht unbedingt eine so große Ausnahme, da hat es wirklich gute Leute gegeben. Momentan ist die Suppe sehr viel dünner. Das heißt, er (Franziskus, Anm.) hat weniger Leute, die ihm helfen können, das ist sicher ein Problem.“ Andererseits habe der Jesuit Franziskus jedoch „einen ganzen Orden hinter sich“.

Zentren für geistigen Austausch schaffen

Insgesamt sieht Appel zwei große Herausforderungen für die Kirche: den Dialog mit den Kulturen und, „dass es auf dieser Welt wirklich eine Institution mit einer ganz klaren Option für die Armen gibt“. Aus Sicht des Experten müsste die katholische Kirche „in der Lage sein, in den großen Städten - in Paris, in Rom, in Wien, in Berlin - Zentren zu schaffen, wo Theologen, wo Nichttheologen, Katholiken und Nicht-Katholiken, wo Leute verschiedener religiöser Herkunft, wo Atheisten, die willig sind, in einen strukturierten geistigen Austausch kommen“.

Franziskus habe „Offenheit“. Doch der „geistigen Ausdünnung der Kirche“ entgegenzuwirken sei ein langfristiges Projekt. Für eine Kirche der Armen habe der Papst wiederum „in seinen ersten Monaten wirkliche Akzente gesetzt, und ich denke, die werden weitergehen“, so der Theologe.

religion.ORF.at/APA

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