100 Tage Papst Franziskus: „Eine neue Epoche“

Die ersten 100 Tage des Pontifikats von Papst Franziskus sind vor allem im Zeichen von Gesten der Bescheidenheit, der Rede von der „Kirche der Armen“ und der Erwartung einer Kurienreform gestanden.

„Buona sera“ - „Guten Abend“. So unspektakulär und einfach begann vor rund 100 Tagen das Pontifikat von Papst Franziskus. Die ersten Worte des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio als Papst wurden in ihrer Bescheidenheit Programm für seine ersten drei Monate im Amt - darin sind sich fast alle Beobachter einig.

Doch auch andere Aspekte prägen den Beginn dieses Pontifikats, etwa die Rede von einer „Kirche der Armen“, die geplante Reform der vatikanischen Kurie oder auch die eine oder andere kritische Schlagzeile, zum Beispiel zu dem angeblichen Exorzismus, den der Papst zu Pfingsten öffentlich durchgeführt haben soll - mehr dazu in TV-Bericht: Papst soll Exorzismus durchgeführt haben.

Papst Franziskus direkt nach seiner Wahl auf der Loggia des Petersdoms

REUTERS/Paul Hanna

Mit einem einfachen „Guten Abend“ begrüßte Papst Franziskus direkt nach seiner Wahl die Menschenmassen am Petersplatz

Bescheidenheit als Programm

„Er sagte nicht irgendetwas Großes wie ‚Gelobt sei Jesus Christus‘, sondern schlicht und einfach ‚Guten Abend‘. Das war schon sensationell“, meint der deutsche Bestsellerautor und Papst-Biograf Andreas Englisch gegenüber religion.ORF.at in Bezug auf die Szene auf der Loggia des Petersdoms unmittelbar nach der Papst-Wahl. „Und dass er dann als erster Papst der Geschichte sagt: ‚Ich möchte, dass ihr mich segnet, bevor ich euch segne‘, das war, als hätte man die katholische Kirche auf null gedreht und würde sagen: ‚Wir fangen einfach nochmal ganz von vorne an.‘“

Buchcover, Andreas Englisch: Franziskus. Zeichen der Hoffnung.

Bertelsmann

Buchhinweis

Andreas Englisch: Franziskus. Zeichen der Hoffnung. C. Bertelsmann, 288 Seiten, 18,50 Euro.

Nicht nur die Begrüßungsformel und die Bitte um den Segen der Anwesenden, sondern auch die Selbstbezeichnung als „Bischof von Rom“, die Papst Franziskus in dieser ersten Ansprache mehrmals verwendete, stieß auf Verwunderung. „Das versteht er offenkundig als seine Hauptfunktion“, sagt die Pastoraltheologin Regina Polak im Gespräch mit religion.ORF.at. „Der Bischof von Rom ist ein Primus inter Pares, aber kein König, kein Herrscher.“

Die Bescheidenheit zieht sich durch das bisherige Pontifikat von Franziskus wie ein roter Faden. Immer wieder setzt er - ob bewusst oder unbewusst - Zeichen, die dieses Thema stützen: von der Fahrt mit den anderen Kardinälen im Bus nach dem Konklave über den Verzicht auf die prunkvollen Gewänder, die seine Vorgänger trugen, bis hin zu seiner Weigerung, in den für den Papst vorgesehenen Apostolischen Palast zu ziehen.

„Völlig neue Epoche“

Es sind unter anderem diese Zeichen, die Papst Franziskus für Englisch zu einem „Revolutionär“ im Papst-Amt machen. „Dieser Papst hat sich nicht in das Appartement einsperren lassen, er hat gesagt: ‚Ich geh in die Mensa und ich setz mich da zu allen anderen. Da kann jeder mit mir sprechen.‘ Dieses Aufbrechen der Isolation ist eine völlig neue Epoche“, so Englisch.

Für Franziskus ist die Bescheidenheit aber offenbar nicht nur persönliche Lebenseinstellung, sondern auch theologisches Programm. Schon mehrmals in den ersten drei Monaten forderte er die katholische Kirche zu einem Leben in Demut und Armut auf. Er wünsche sich „eine Kirche der Armen für die Armen“, sagte Papst Franziskus kurz nach dem Konklave.

Papst Franziskus umgeben von einer Menschenmenge

REUTERS/Stefano Rellandini

Papst Franziskus gibt sich betont bescheiden und volksnah

Mammutprojekt Kurienreform

Direkt mit diesem Anspruch in Verbindung steht eines der großen Projekte dieses Pontifikats: Papst Franziskus ist offenbar dabei, eine der wichtigsten Forderungen umzusetzen, die schon seit Jahren auf den Wunschlisten vieler kritischer Beobachter des Vatikans stehen: die Reform der Kurie.

Schon im Vorkonklave wurde unter den Kardinälen der Ruf nach einer Neuordnung der vatikanischen Behörden laut. Dass Bergoglio Papst wurde, war ein Zeichen dafür, dass sich die kritischen Stimmen gegenüber jenen aus der Kurie durchgesetzt hatten. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Ärger auf die bisherige Kirchenführung so groß ist, dass man diesen Mann wählt“, resümiert Englisch heute. „Es gab kaum einen anderen Kardinal, der mit der Kurie so viel Ärger hatte wie Bergoglio.“

Dass Franziskus mit der Einberufung eines sogenannten Kardinalsdirektoriums den ersten Schritt in Richtung einer umfassenden Kurienreform setzte, kam also wenig überraschend. Das Direktorium steht unter der Leitung des honduranischen Kardinals Oscar Andres Rodriguez Maradiaga, der Gerüchten zufolge auch Tarcisio Bertone als Kardinalstaatssekretär ablösen soll - mehr dazu in Medien: Papst will Maradiaga als Bertone-Nachfolger.

Sendungslogo "Orientierung"

ORF

Sendungshinweis

Das ORF-Religionsmagazin „Orientierung“ schaut am Sonntag, 23.6.2013, ab 12.30 Uhr, ebenfalls auf die ersten 100 Tage Papst Franziskus zurück.

„Eine Katastrophe für die Kurie“

Für Englisch ist dieses neue Direktorium auch eine klare Kampfansage an die bisherigen Kurienmitglieder: „Diese Beraterkommission ist für die Kurie eine Katastrophe“, so der Bestsellerautor. „Die Kurie berät nach der Verfassung des Vatikans den Papst. Das heißt, der Papst hat schon Berater, nämlich die Kurie. Wenn jetzt ein Papst hergeht und sagt ‚Ich brauche neue Berater‘, dann bedeutet das, dass die bisherigen Berater nicht funktionieren.“

Im Oktober soll das neue Gremium erstmals zusammentreffen. „Da wird er mit der Kurienreform beginnen, und ab dann wird es auch Personalentscheidungen geben. Das wird nicht allen gefallen, was dort herauskommt“, glaubt der Wiener Jesuit und Direktor des Kardinal-König-Hauses, Christian Marte. „Zentral wird sein, dass er die Kommunikation innerhalb der Kurie stärkt. Das war eine große Unzufriedenheit der Kardinäle beim Vorkonklave, die wurde deutlich sichtbar in vielen Interviews. Da braucht’s sozusagen ein modernes Regierungssystem und eine gute Kommunikation zu den Bischöfen in der Welt.“

Der Papst und der Teufel

Trotz allen Lobs für seine Gesten der Bescheidenheit und trotz aller Erwartungen möglicher Reformen war Franziskus in den ersten drei Monaten seines Pontifikats auch schon mit kritischen Stimmen konfrontiert. Oft spricht der Papst vom „Teufel“, was vor allem in Europa für Irritationen sorgte. Auch sein angeblich öffentlich am Petersplatz durchgeführter Exorzismus machte Schlagzeilen. Für Experten sind derartige Denk- und Sprachmuster allerdings weniger Ausdruck einer mittelalterlichen Weltsicht als Produkte der Herkunft des neuen Papstes.

Papst Franziskus

REUTERS/Tony Gentile

Wenn Franziskus vom Teufel spricht, ist das für Europäer befremdlich, in Südamerika aber eine völlig normale Sprachfigur

„Wenn man mit Menschen spricht, die oft in Lateinamerika sind“, erklärt Christian Marte, „dann weiß man, dass dort die Rede vom Teufel eine ganz selbstverständliche ist. Der kommt viel öfter vor in der Konversation als bei uns.“ Pastoraltheologin Polak sieht das ähnlich: Die Rede vom Teufel stehe in Südamerika an der Tagesordnung und klinge bloß für europäische Ohren fremd. „Er ist vertraut mit dieser Realität der Armut in Lateinamerika, angesichts derer sich schon die Frage stellt, welche bösen Regungen im Menschen oder lebensfeindlichen Strukturen da eine Rolle spielen. Und diese benennt er mit dem Vokabel ‚der Teufel‘.“

Weichenstellungen im Herbst

Papst Franziskus hat in seinen ersten 100 Tagen als Papst schon viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Alle bisherigen Analysen beziehen sich aber zwangsläufig bloß auf Äußerlichkeiten, auf seinen „Stil“. Eine fundierte inhaltliche Einordnung dieses ersten Papstes, der aus Lateinamerika stammt, wird wohl erst dann möglich sein, wenn seinen Zeichen und Worten noch weitere Entscheidungen folgen.

Erste Weichenstellungen wird das Treffen des neuen Kardinalsdirektoriums im Herbst bringen. Auch die ersten Enzykliken sind bereits angekündigt, aber noch nicht auf einen Termin fixiert. Sowohl Reformer als auch Traditionalisten in der römisch-katholischen Kirche sind derzeit noch vorsichtig optimistisch - entweder die eine oder die andere Seite wird wohl früher oder später wohl enttäuscht werden.

Michael Weiß, religion.ORF.at

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