Naher Osten: Auch Christen aßen kein Schweinefleisch

Muslime und Christen im Nahen Osten haben nach Erkenntnissen des französischen Historikers Bernard Heyberger über Jahrhunderte ähnliche Bräuche und Rituale gepflegt.

„Christen aßen kein Schweinefleisch und Muslime färbten in der Karwoche Eier“, zitiert die deutsche katholische Nachrichtenagentur KNA aus einer Vorlesung Heybergers zur Mittelalter- und Frühneuzeitforschung an der Universität Münster. „Anhänger der verschiedenen Religionen verehrten zuweilen dieselben Heiligen, besuchten dieselben Wallfahrtsorte oder folgten denselben Hochzeits- und Trauerritualen.“ Erst in der Neuzeit hätten die orientalischen Christen ein konfessionelles Bewusstsein entwickelt und sich von den Muslimen abgegrenzt.

„Die konfessionelle Abgrenzung der orientalischen Christen begann im 18. Jahrhundert unter dem Einfluss von Missionaren, die sich am abendländischen Christentum orientierten“, erläuterte Heyberger. Mit der Bildung der Nationalstaaten im Vorderen Orient im 20. Jahrhundert habe die Abgrenzung zugenommen. „Nationalstaaten gerieten in Konkurrenz und bekämpften ethnische, konfessionelle und sprachliche Vielfalt - bis hin zu Völkermorden und ethnischen Reinigungen.“

Heute große Unsicherheit

Heute herrsche für Christen im Nahen Osten große Unsicherheit, so der Experte. Ihre Zahl sei im 20. Jahrhundert fast überall zurückgegangen, da viele Regionen wie den Libanon, den Irak und die Osttürkei verlassen hätten. Doch die Geschichte des Christentums im Nahen Osten sei nicht beendet. Nach Saudi-Arabien etwa seien eine Million Christen aus Indien oder von den Philippinen eingewandert, so der Pariser Wissenschaftler. Zudem seien überall materielle Zeugnisse wie Kirchen und Klöster erhalten.

Orientalische Christen könnten angesichts dieser historischen Entwicklung nicht allein als Opfer muslimischer Unterdrückung betrachtet werden, betonte Heyberger. „Die Christen teilten über Jahrhunderte mit ihren jüdischen und muslimischen Nachbarn Kultur und Weltanschauung.“

Zwar seien christliche und jüdische Untertanen, die „Dhimmi“, in islamischen Reichen des Mittelalters Diskriminierungen wie Kopfsteuer, Kleiderbestimmungen und Einschränkungen im Ehe- und Erbrecht ausgesetzt gewesen, so der Forscher. „Doch sie gehörten vollständig zur Gesellschaft und waren rechtlich nicht schlechter gestellt.“ Ein Christ habe wie jeder Muslim Eigentum besitzen, Geschäfte machen und einen Vertrag vor dem Cadi, dem islamischen Richter, abschließen können.

KAP