Körtner: Reformation kein „Missverständnis“

Im evangelisch-katholischen Dialog werde die Reformation immer wieder als ein „Missverständnis“ gewertet, sagt der evangelisch-reformierte Theologe Ulrich Körtner. Er plädiert zum Reformationstag für ein selbstbewussteres Auftreten der Protestanten.

Der Reformationstag (31. Oktober), an dem die evangelischen Kirchen den Thesenanschlag Martin Luthers an der Wittenberger Schlosskirche feiern, erinnert für Ulrich Körtner an „das Fanal, der Startschuss für die Reformation“. Der Festtag stehe für die Identität der Evangelischen, und zwar über die Lutheraner hinaus.

Theologe Ulrich Körtner im Gespräch mit ORF-Redakteur Christoph Riedl

ORF

Sendungshinweis

„Das ganze Interview“

Christoph Riedl im Gespräch mit dem evangelisch-reformierten Theologen Ulrich Körtner

Reformationstag, 31.10.2013, 18.35 Uhr, ORF III

„Heutzutage ist uns stärker vielleicht als in der Vergangenheit bewusst, dass die Reformation nicht nur aus Luther besteht, dass die Reformation auch nicht nur ein deutsches Ereignis, sondern wirklich ein europäisches Ereignis war und dass eben auch das Reformiertentum und auch andere Strömungen zu dieser großen Bewegung der Reformation dazugehören“, so Körtner in der ORF-Sendereihe „Das ganze Interview“ anlässlich des Reformationstags 2013.

Der Reformationstag gebe Gelegenheit, sich über die eigene Identität klar zu werden, sei aber gleichzeitig auch Anlass für eine Standortbestimmung: „Wir wollen ja schließlich nicht immer nur in der Vergangenheit leben oder uns nach rückwärts orientieren. Die Frage ist: Was bedeutet Reformation und das reformatorische Erbe für uns heute und was ist die Zukunft des Protestantismus?“, so Körtner.

Katholisch-lutherisches Dokument „besorgniserregend“

Unweigerlich ist im Kontext des Reformationstags 2013 auch bereits vom großen Reformationsjubiläum 2017 die Rede: In diesem Jahr jährt sich der Anschlag der 95 Thesen durch Martin Luther zum 500. Mal. Auch das Verhältnis der evangelischen Kirchen zur römisch-katholischen Kirche ist dabei natürlich Thema. Ein gemeinsames Dokument des Vatikans und des lutherischen Weltbunds sorgte in diesem Zusammenhang vor einigen Monaten für Aufsehen – mehr dazu in 500 Jahre Reformation: Grundsatzpapier verabschiedet.

Körtner steht dem Dokument kritisch gegenüber, wie er schon damals in einem Antwortschreiben bekundete – mehr dazu in Theologe Körtner kritisiert Reformationsdokument. Auch im ORF-Interview bestätigt er seine Kritik: „Ich halte es besorgniserregend, weil die lutherische Seite sich in einer Weise auf eine katholische Interpretation der Reformation einlässt, dass man sich am Ende fragt, ob die Reformation vielleicht nur ein einziges Missverständnis war und ob man jetzt im Nachhinein eigentlich bedauern müsste, dass es zur Reformation gekommen ist.“

Ulrich Körtner

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„Apologetische Manöver“

Der lutherische Weltbund akzeptiere mit seinem Mitwirken an dem Dokument „apologetische Manöver“ der römisch-katholischen Kirche und vermittle selbst einen Eindruck von Schuld und Bedauern, so Körtner. „Am Ende fragt man sich: Gibt es eigentlich für Lutheraner überhaupt noch etwas, was zu feiern ist, etwas, wo man sagt, das wollen wir auch offensiv in das ökumenische Gespräch einbringen. Da scheint mir dann ein bisschen die Orientierung verloren zu gehen.“

Auch unter Papst Franziskus habe sich die Haltung der katholischen Kirche nicht verändert. Bei einem Reformationskongress in der Schweiz habe er etwa vor kurzem einen Vortrag des Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Koch, gehört, erzählt Körtner im ORF-Interview. Koch hatte bei dem Kongress erneut betont, dass die Reformation aus katholischer Sicht kein Grund zum Feiern sei. „Na gut, wenn man das jetzt ökumenisch akzeptiert, dann streichen wir vielleicht besser das Jubiläum 2017“, so Körtners Kommentar zu dieser Sichtweise.

Positives Auftreten erforderlich

Von evangelischer Seite wünscht sich Körtner also vor dem großen Jubiläum ein positives Auftreten: „Die Aufgabe eines lutherischen Weltbunds wäre es eher, für die heutige Zeit und ihre religiöse Unübersichtlichkeit herauszustreichen, was denn nun eigentlich der bleibende Wert der Reformation ist und warum es eigentlich auch eine ganz gute Sache ist, dass es auch evangelische Kirchen gibt.“

Allerdings gehe es nicht darum, ein „Traditionsverband“ zu sein, sondern sich jener Potenziale der Reformation, die für heute noch wichtig sind, bewusst zu werden. Aus seiner Sicht sind das vor allem drei Schlüsselelemente: Das Evangelium „als Botschaft der Befreiung“, die Begründung aller kirchlichen Ämter in der Taufe und das damit zusammenhängende Priestertum aller Getauften sowie der direkte Bezug zur Bibel.

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