Neues Buch: Erkenntnisse der „Klasnic-Kommission“

„Erschütternde Erfahrungen und notwendige Konsequenzen“ aus ihrer Arbeit in der Unabhängigen Opferschutzkommission hat deren Vorsitzende Waltraud Klasnic im Sammelband „Missbrauch und Gewalt“ gebündelt.

Die Mitglieder der achtköpfigen „Klasnic-Kommission“, die seit dreieinhalb Jahren arbeitet, sowie weitere Fachleute stellen in dem Buch ihre Erkenntnisse nach 1.100 behandelten Fällen von Missbrauch im kirchlichen Bereich dar. Sie widmen sich dabei unterschiedlichen Aspekten rund um Opfer und Täter. Es handle sich um eine „Zwischenbilanz“, wie Klasnic bei der Buchpräsentation erklärte; die „menschlich aufwühlende“ Arbeit der Kommission gehe in veränderter Form weiter.

Auf dem Podium waren neben Klasnic bis auf den erkrankten Präsidenten der Opferhilfeorganisation „Weißer Ring“, Udo Jesionek, alle Kommissionsmitglieder, darunter die Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofes, Brigitte Bierlein, der katholische Publizist Hubert Feichtlbauer, die Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen, Ulla Konrad, und der Ex-Präsident des Wiener Stadtschulrates, Kurt Scholz.

Waltraud Klasnic

APA/Herbert Pfarrhofer

Waltraud Klasnic

Beiträge für das Buch verfassten unter anderen der Jesuit Pater Klaus Mertes, der die kirchlichen Missbrauchsfälle am deutschen Canisius-Kolleg aufdeckte, die Wiener Psychologieprofessorin und Missbrauchsstudien-Autorin Brigitte Lueger-Schuster sowie Opfervertreter Wolfgang Pirker.

Opferanwalt von Aufarbeitung „beeindruckt“

Das eindrücklichste Zeugnis über das Engagement der durchwegs ehrenamtlich tätigen Kommissionsmitglieder gab ein Gast am Rande der Buchpräsentation: Anwalt Georg Zanger sagte, er habe nach dem Anstoß von Kardinal Christoph Schönborn zur Bildung eines Gremiums zur Aufarbeitung kirchlicher Missbrauchsfälle, geleitet von der „kirchennahen“ ehemaligen steirischen Landeshauptfrau, „große Bedenken“ hinsichtlich deren Objektivität gehabt.

Seine Skepsis habe sich allerdings gewandelt, der Vertreter mehrerer Missbrauchsbetroffener sei „beeindruckt“ von der im Dienst der Opfer geleisteten Aufarbeitung und „ziehe den Hut vor der großartigen Arbeit“ der Kommission und ihrer Leiterin, die auch international vorbildlich sei.

Klasnic: „Kindern wird heute mehr geglaubt“

Zanger kooperierte mehrfach mit der Kommission und ermöglichte somit Zahlungen aus dem dafür seitens der Kirche eingerichteten Entschädigungsfonds. Auch andere Anwälte hätten das getan, berichtete Klasnic. Die von der Kommission behandelten Fälle reichen meist weit in die Vergangenheit - in die 1960er und 1970er Jahre - und seien verjährt, so Klasnic. Heute seien Missbrauch und Gewalt nach wie vor gesellschaftliche Probleme, denen nur mit einem breiten Bewusstseinswandel beizukommen sei.

Und tatsächlich habe sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges zum Positiven verändert. „Kindern wird heute mehr geglaubt“, so Klasnic. Familiäre Vertuschung, die Kurt Scholz mit „Kind, mach uns ja keine Schand’!“ umschrieb, sei nicht mehr die Regel. Betroffene litten auch nach Jahren sehr unter Missbrauchserfahrungen, sagte Klasnic. Primäres Ziel der Kommission sei es, Opfern durch Zuhören und Ernstnehmen ihre „Würde zurückzugeben“.

Das Gremium trete nunmehr die „Vorarbeiten“ zur Fallbeurteilung - etwa Opfergespräche mit Traumapsychologen - an die kirchlichen Ombudsstellen sowie an Diözesankommissionen zum dienstrechtlichen Umgang mit Tätern ab. Alle Entschädigungsforderungen würden aber weiterhin von der Kommission entschieden.

Staatliche Institutionen „unter Zugzwang“

Caroline List, Richterin und Vertreterin des Kinderschutzzentrums Graz, würdigte die bedingungslose Kooperation der Kirchenverantwortlichen: Es habe weder von Bischöfen noch von Ordensvertretern jemals eine Einflussnahme auf Entscheidungen der Kommission etwa hinsichtlich der Entschädigungszahlungen gegeben, alle seien „eins zu eins umgesetzt“ worden.

Dass die Kommission erfolgreich arbeite, sei auch daran erkennbar, dass staatliche Institutionen „unter Zugzwang“ gerieten: Mehrere Bundesländer, in denen Missbrauch in öffentlichen Einrichtungen geschah, orientierten sich inzwischen am Verfahrens- und Entschädigungsmodell der „Klasnic-Kommission“.

Brigitte Bierlein ergänzte, dass keine Fakten aus Verfahren an unerwünschte Adressaten weitergegeben würden, der Datenschutz sei „hieb- und stichfest“.

Cover "Missbrauch und Gewalt"

Leykam Buchverlag

Buchhinweis:

„Missbrauch und Gewalt: Erschütternde Erfahrungen und notwendige Konsequenzen“, herausgegeben von Waltraud Klasnic, Leykam-Verlag, 192 Seiten

Der Psychiater und Neurologe Reinhard Haller kritisierte den Reflex der politischen Parteien, auf Missbrauch sofort mit der Forderung nach Strafverschärfung zu reagieren. Therapie statt Strafe habe sich auch im Suchtbereich bewährt und sollte auch bei Pädophilie stärker zum Tragen kommen. Viele derartig Veranlagte suchten oft unbewusst Berufe, in denen „erotisierte pädagogische Beziehungen“ eingegangen werden, sagte Haller. Angehende Priester sollten daher viel mehr als bisher mit moderner Sexualpsychologie konfrontiert werden und sich in ihrer Ausbildung der Frage stellen: „Wie gehe ich mit der Zölibatsverpflichtung um?“

Feichtlbauer: Kirchliche Lehre überdenken

Laut dem Publizisten Hubert Feichtlbauer kommt Missbrauch in allen geschlossenen Systemen mit starrer Hierarchie gehäuft vor. Das entlaste die Kirche jedoch nicht von ihrer Verantwortung für Vergehen in ihrem Zuständigkeitsbereich. Mit ihrer „schlechten Theologie“ mit Fehleinschätzungen von Leiblichkeit und Sexualität habe die Kirche einen Missbrauch begünstigenden Nährboden geschaffen, angesichts dessen der nun unverstellte Blick auf Opfer und Täter nicht ausreiche. Auch in Bezug auf die Lehre gebe es Reformbedarf.

Klare Entschuldigung fehlt noch

Und es gibt auch noch „Versöhnungsbedarf“, wie mehrere Fachleute auf dem Podium unterstrichen. Eine klare Entschuldigung seitens hoher Kirchenvertreter würden viele Opfer noch vermissen, sagte Klasnic. Sie wisse aber, dass hier „noch etwas erfolgen“ werde, „daran wird gearbeitet“. Kurt Scholz würde sich - wie er sagte - wünschen, dass statt traditioneller Märtyrergeschichten von den Kirchenkanzeln auch einmal die Leidensgeschichten von Missbrauchsopfern zu hören sind, wie sie in dem neuen Buch neben zahlreichen Expertisen eindrücklich vorliegen.

religion.ORF.at/KAP