Theologe Beinert: Franziskus beginnt neue Epoche

Der deutsche Theologe Wolfgang Beinert spricht im Interview mit religion.ORF.at über das „Regierungsprogramm“ des Papstes, realistische und unrealistische Reformideen sowie die erneute Debatte über wiederverheiratete Geschiedene in Deutschland.

religion.ORF.at: Herr Beinert, vor kurzem hat der Papst sein „Regierungsprogramm“, Evangelii Gaudium, veröffentlicht. Wie haben Sie dieses Dokument aufgenommen?

Wolfgang Beinert: Also zunächst einmal mit großer Begeisterung, denn da werden Dinge gesagt, für die wäre man vor 20 Jahren noch vor die Glaubenskongregation zitiert worden. Einen gewissen Nachteil sehe ich allerdings darin, dass es ein außergewöhnlich langes Dokument ist, in das viele eigentlich unverbundene Dinge hineingestopft wurden.

Auf der anderen Seite hat es eine erfrischende, lebendige ja - ich wage es fast nicht zu sagen - jugendliche Sprache. Kardinal Reinhard Marx hat gesagt, es käme selten vor, dass man auch einmal bei der Lektüre eines päpstlichen Dokuments lachen müsse, aber hier dürfe und könne man das – und da hat er Recht.

Welche Dinge sind das, für die man vor 20 Jahren noch vor die Glaubenskongregation zitiert worden wäre?

Zum Beispiel die Relativierung des Papsttums, die da vorgenommen wird. Der Papst müsse nicht zu allem und jedem etwas sagen und er könne auch manchmal etwas sagen, das zur Diskussion steht. Oder das Versprechen, die Kollegialität der Bischöfe wirklich einmal durchzusetzen. Die hat zwar schon das Konzil vor 50 Jahren dekretiert, aber draus geworden – das steht in dem Schreiben ja drin – ist wenig.

Franziskus hat sich in dem Dokument auch deutlich gegen das Frauenpriestertum ausgesprochen. Hat Sie das überrascht?

Nein. Aber was heißt deutlich? Er hat neulich in diesem Zusammenhang gesagt, die Türen seien zu, und jetzt heißt es in „Evangelii Gaudium“, das stehe „nicht zur Diskussion“. Johannes Paul II. hat im Gegensatz dazu noch gesagt, das sei definitiv ausgeschlossen. Das sind zwei verschiedene Kategorien der Wortwahl. Wenn etwas definitiv nicht geht, dann geht es nicht und dann müssen wir aufhören, darüber zu reden. Wenn ich aber sage, es steht nicht zur Diskussion, dann sage ich damit nicht, wie es morgen aussehen wird. Und auch geschlossene Türen kann man wieder öffnen.

Wolfgang Beinert

ORF/Marcus Marschalek

Wolfgang Beinert

Welche konkreten Reformen halten Sie unter Franziskus in Bezug auf die Rolle der Frau für realistisch? Diakoninnen oder gar Kardinälinnen, wie es kürzlich eine Petition aus der Schweiz gefordert hat?

Also das wäre zum Beispiel überhaupt kein Problem. Unter den Kardinälen des 19. Jahrhunderts waren ohnehin Laien. Das Kardinalat ist eine persönliche Würde, die an eine bestimmte Person vergeben wird, unabhängig von ihrem Weihestand.

Kurzbiografie

Wolfgang Beinert, geboren 1933 in Breslau, ist ein deutscher Theologe. Ab 1972 war er Professor für Dogmatik an der Ruhr-Universität Bochum, 1978 wechselte er als Nachfolger seines früheren Professors Joseph Ratzinger, des späteren Papst Benedikt XVI., an die Universität Regensburg. Heute lebt er in Pentling bei Regensburg und ist dort auch als Seelsorger tätig.

Ist das realistisch unter diesem Papst?

Man soll niemandem Steine in den Weg legen. Ich hätte kein Problem damit. Obwohl das natürlich nicht reicht, ein Titel. Aber die Leitung einer Kongregation zum Beispiel, ob jetzt als Kardinälin oder nicht, das könnte ich mir vorstellen. Nicht bloß Telefonistin im Vatikan.

Und Diakoninnen?

Da halte ich persönlich nicht so viel davon. Da bekäme die Frau ja wiederum nur den untersten und niedrigsten Weihegrad, bei dem man gar nicht genau weiß, was der heute eigentlich noch soll. Also wenn Weihe, dann alle Stufen, und wenn nicht, dann eben nicht. Da sollte man konsequent sein.

An Franziskus scheiden sich ein wenig die Geister. Während die einen glauben, dass auch auf dogmatischer Ebene große Veränderung kommen werden, sind andere der Meinung, dass er in Kontinuität zu seinen Vorgängern steht und sich nur der Stil verändert hat. Was meinen Sie?

Ich glaube, das sind nicht nur Stilfragen, sondern hier ist wirklich ein Neubeginn gemacht worden. Nach „Evangelii Gaudium“ kann man das mit Bestimmtheit sagen. Er sagt in diesem Schreiben nicht sehr viel anderes, als er schon bisher gesagt hat, aber jetzt steht es schriftlich da. Ich würde sogar mit aller Vorsicht zu sagen wagen, dass mit Benedikt XVI. eine ganze Papst-Epoche ihren Abschluss gefunden hat und das jetzt möglicherweise eine ganz neue Epoche beginnt.

Wann hat diese abgeschlossene Epoche in Ihren Augen begonnen?

Das kann man nicht mit einem festen Datum bestimmen. Im Grunde beginnt sie mit der Reformation, als die Kirche Angst bekommt. Und ganz klar ist es dann etwa seit dem 17. Jahrhundert, seit der Aufklärung. Da ist die Kirche immer nur dagegen. Sie reagiert nur noch und handelt nicht mehr. Und jetzt ergreift der Papst die Initiative und sagt: Da müssen wir etwas ändern. Ob er dann wirklich etwas ändert, müssen wir abwarten, aber zumindest hat er diesen Vorsatz und diesen auch mit Brief und Siegel festgelegt.

Also halten Sie das, was jetzt passiert, für eine größere Revolution als das Zweite Vatikanische Konzil?

Das Zweite Vatikanische Konzil hat da zwar den Anstoß gegeben, aber das war eher so eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht. Und es ist ja auch immer weiter zurückgenommen worden, ganz massiv zum Beispiel unter Benedikt XVI.. Und das wird jetzt offenbar aufgebrochen, und zwar viel weiter als es das Konzil tat.

Wenn der Papst zum Beispiel schreibt, man könne päpstliche Kundgaben kritisieren und sie seien nicht der Weisheit letzter Schluss, dann ist das eigentlich eine Rücknahme des Ersten Vatikanischen Konzils, wenn man ganz streng ist. Was Franziskus tut, ist die Fortsetzung, die Exekution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das Konzil hat die Fundamente gelegt mit seinen Dokumenten, aber sie sind nie wirklich exekutiert worden.

Wie beobachten Sie den Umgang der Medien mit Papst Franziskus? Wird er, weil der Bruch zu Benedikt XVI. so stark erscheint, zu unkritisch betrachtet?

Das Bild, das da transportiert wird, ist schon sehr euphorisch. Ich bin da ein bisschen vorsichtiger, denn der Papst ist schließlich nicht nur eine Einzelperson, die alle Fäden in der Hand hat, sondern angewiesen auf die Arbeit seiner Mitarbeiter, wie jeder Chef. Und ob die alle begeistert mitmachen, da habe ich meine Zweifel.

In Deutschland wird seit einigen Wochen die Frage der wiederverheirateten Geschiedenen in der der katholischen Kirche erneut diskutiert. Welche Änderungen halten Sie hier für realistisch?

Ich bin der Meinung, dass da bereits eine Lawine losgetreten wurde, die nicht mehr aufzuhalten ist. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass ein Kardinal (Kardinal Reinhard Marx, Anm.) dem Präfekten der Glaubenskongregation ausrichten lässt, er könne so etwas nicht entscheiden. Vor nicht allzu langer Zeit wäre das noch als eine Ungeheuerlichkeit empfunden worden. Also da wird etwas passieren.

Sie kennen den Präfekten der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, aus seiner Zeit als Bischof von Regensburg ja persönlich. Glauben Sie, dass er meint, den letzten Bewahrer der Tradition geben zu müssen?

Ich vermute das, ja. Ich kenne ihn ja schon seit seiner Jugend und ich glaube, dass er das wahrscheinlich einfach nicht verstehen kann. Er hat schon immer seine feste Meinung gehabt und sein Doktorvater, Kardinal Lehmann, hat ihn mir gegenüber einmal als beratungsresistent bezeichnet. Es fällt ihm wahrscheinlich fürchterlich schwer, einzusehen, dass auch andere Meinungen katholisch sind.

Das Interview führte Michael Weiß, religion.ORF.at