Fundamentalismus-Studie: Hohe Werte in Österreich

Muslimische Zuwanderer in Westeuropa neigen laut einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) wesentlich stärker zu Fundamentalismus als christliche Einheimische. Für Österreich weist die Studie besonders hohe Werte aus.

Nicht weniger als 55 Prozent der befragten Muslime in Österreich bezeichnet die Studie als „konsistente Fundamentalisten“. 44 Prozent sind es im Durchschnitt der sechs Länder, in denen die Studie durchgeführt wurde. Sowohl für Experten als auch für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) sind die Ergebnisse besorgniserregend. Allerdings gibt es auch kritische Anmerkungen zum Forschungsdesign.

Für die Studie wurden im ersten Halbjahr 2008 in sechs europäischen Ländern (Belgien, Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich, Schweden) sowohl Einheimische als auch Zuwanderer aus Marokko und der Türkei befragt. Dass die Zahlen erst jetzt, fünf Jahre später, veröffentlicht werden, liegt, wie das WZB auf Nachfrage von religion.ORF.at mitteilte, daran, dass die Studie sehr breit angelegt war und neben den religiösen Aspekten auch viele andere Bereiche abdeckte, die seither sukzessive ausgewertet wurden. Insgesamt wurden für die Studie etwa 9.000 Telefoninterviews durchgeführt.

Koran vor Teppich in Moschee

Reuters/Esam Al-Fetori

Für viele Muslime in Europa gibt es laut Studie nur eine mögliche Interpretation des Koran

Die Studie bewertet „religiösen Fundamentalismus“ anhand von drei Indikatoren: Die Interviewten wurden gefragt, ob (1) Muslime bzw. Christen zu den Wurzeln ihrer jeweiligen Religion zurückkehren sollen, (2) ob es nur eine einzige gültige Auslegung des Koran bzw. der Bibel gibt und (3) ob ihnen religiöse Regeln wichtiger sind als staatliche Gesetze. Jene Personen, die alle drei Fragen mit Ja beantworteten, bezeichnet die Studie als „konsistente Fundamentalisten“.

„Fundamentalismus“ in Österreich

„Muslime (Christen) sollten zu den Wurzeln des Islam (Christentums) zurückkehren.“

Muslime: 65%, Christen: 27%

„Es gibt nur eine Auslegung des Koran (der Bibel) und alle Muslime (Christen) müssen sich daran halten.“

Muslime: 79%, Christen: 18%

„Die Regeln des Koran (der Bibel) sind mir wichtiger als die Gesetze Österreichs.“

Muslime: 73%, Christen: 13%

„Konsistente Fundamentalisten“ (Bejahung aller drei Fragen:

Muslime: 55%, Christen: 4%

Hohe Werte in Österreich

In Österreich, wo laut Information des WZB nur türkischstämmige Muslime befragt wurden, weil es zu wenige marokkanischstämmige gibt, zeigen die Studienergebnisse überdurchschnittlich starke radikale Tendenzen.

Von den hierzulande Befragten stimmten demnach 79 Prozent der Aussage zu, es gebe nur eine korrekte Auslegung des Islam, 73 Prozent hielten die islamischen Gebote für wichtiger als staatliche Gesetze und 65 Prozent eine Rückkehr zu den Wurzeln des Islam für erstrebenswert. Allen drei Fragen stimmten 55 Prozent der befragten Muslime zu.

In der Vergleichsgruppe der christlichen Einheimischen lagen die Zustimmungswerte in allen drei Fragen klar darunter: 27 Prozent wollten „zurück zu den Wurzeln“, 18 Prozent meinten, es gebe nur eine Interpretation der Bibel, und 13 Prozent hielten religiöse Regeln für wichtiger als staatliche Gesetze. Vier Prozent der befragten einheimischen Christen stimmten allen drei Fragen zu.

44 Prozent der Muslime „konsistente Fundamentalisten“

International sehen die Ergebnisse ähnlich aus. Im Durchschnitt aller sechs Länder, in denen die Studie durchgeführt wurde, halten 65 Prozent der befragten Muslime religiöse Gesetze für wichtiger als die Gesetze des Landes, in dem sie leben (Christen: 13 Prozent). 75 Prozent der Muslime vertreten die Auffassung, es gebe nur eine mögliche Auslegung des Koran (Christen: 20 Prozent), während knapp 60 Prozent der Aussage, Muslime sollten „zu den Wurzeln des Islam zurückkehren“, zustimmten (Christen: 20 Prozent).

Zustimmung zu allen drei Indikatoren gab es bei 44 Prozent der Muslime und bei vier Prozent der Christen - Muslime sind also gemäß der Studie wesentlich häufiger „konsistente Fundamentalisten“ als Christen.

IGGiÖ will Aufklärungsarbeit fortsetzen

IGGiÖ-Sprecher Zekirija Sejdini kommentierte die Ergebnisse der Studie gegenüber religion.ORF.at als „ohne Zweifel auch für uns besorgniserregend“. Gleichzeitig aber seien sie „eine Bestätigung dafür, dass wir als Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich unsere bisherige Aufklärungsarbeit verstärkt weiterführen müssen“.

Die von der Studie vorgegebenen Fragen seien allerdings, so Sejdini, aus islamisch-theologischer Sicht teilweise nicht haltbar. „So zum Beispiel gab es zu keiner Zeit in der islamischen Geschichte eine Auffassung, die sich durchsetzen konnte, dass der Koran nur eine einzige Interpretation zulässt. Diese Inkompatibilität mit den Lehren des Islam ist auch bei den anderen wichtigen Punkten der Studie zu sehen.“

Die IGGiÖ hoffe, „dass durch die Gründung von islamisch-theologischen Studiengängen in Österreich zumindest eine theologische Aufklärung möglich sein wird, um die theologischen Grundlagen einer Radikalisierung zu entziehen“, so Sejdini.

Fundamentalismus: Christlicher Begriff

Vorbehalte gegenüber dem Forschungsdesign der Studie äußert auch Karsten Lehmann, Head of Social Sciences and Statistics des König-Abdullah-Dialogzentrums (KAICIID) in Wien. Der Begriff des Fundamentalismus, der eigentlich in Bezug auf das Christentum entstanden ist, sei nicht ohne weiteres auf den Islam umzulegen, so der Religionssoziologe gegenüber religion.ORF.at.

„Die Grundaussage, die mit dem Begriff Fundamentalismus beschrieben wird, ist, dass man zur Bibel als alleiniger Grundlage zurückkehren will“, so Lehmann. „Diese Bewegung war damals im Christentum eine Abwehr des neuen Mainstreams, der die Bibel als historisches Dokument zu begreifen begann.“ Im Islam sei ein solcher neuer Mainstream nie entstanden, weshalb noch heute die Wurzeln der Religion völlig anders als im Christentum bewertet würden. Dabei gehe es aber nicht um eine „Evolution von schlechter/älter zu besser/neuer“, sondern einfach um unterschiedliche Wege, die eingeschlagen wurden, so Lehmann.

Frage man einen Muslim also, ob es nur eine Auslegung des Korans gebe, sei eine positive Antwort schon allein deshalb wesentlich wahrscheinlicher als bei einem Christen, weil der Koran im Islam eine völlig andere Rolle spiele als die Bibel im Christentum, so Lehmann. Abgesehen davon seien Radikalisierungstendenzen nicht allein von der Religion abhängig, sondern auch von zahlreichen anderen Faktoren.

Religion als Auslöser

Auch der Bericht zur Studie weist auf die Möglichkeit derartiger anderer Einflüsse hin, allerdings sei tatsächlich die Religion Ursache für die gravierenden Unterschiede zwischen Christen und Muslimen: „Die Ergebnisse der Regressionsanalyse unter Berücksichtigung von Bildungsniveau, Arbeitsmarktstatus, Alter, Geschlecht und Familienstand zeigen, dass einige dieser Faktoren Variationen beim Fundamentalismus innerhalb der beiden religiösen Gruppen erklären; sie erklären jedoch nicht die Differenz zwischen Muslimen und Christen, ja, sie verringern sie nicht einmal“, so der Bericht.

Studienautor Koopmans bezeichnet die starke Tendenz zu religiösem Fundamentalismus unter Europas Muslimen als alarmierend. „Fundamentalismus ist keine unschuldige Form strenger Religiosität“, so der Soziologe. „Unsere Untersuchung zeigt vielmehr, dass Menschen mit fundamentalistischer Haltung gleichzeitig Gruppen, die von ihrem Standard abweichen - wie Homosexuellen oder Juden - feindselig gegenüberstehen.“

„Fremdgruppenfeindlichkeit“ in Österreich

„Ich möchte keine Homosexuellen als Freunde haben.“

Muslime: 69%, Christen: 15%

„Juden kann man nicht trauen.“

Muslime: 63%, Christen: 11%

„Die westlichen Länder wollen den Islam zerstören.“ („Die Muslime wollen die westliche Kultur zerstören.“)

Muslime: 66%, Christen: 25%

Bejahung aller drei Fragen:

Muslime: 43%, Christen: 3%

Ablehnung gegenüber „Fremdgruppen“

In der Befragung lehnten fast 60 Prozent der Muslime Homosexuelle als Freunde ab. Jeweils 45 Prozent zeigten sich überzeugt, dass man Juden nicht trauen könne und dass der Westen den Islam zerstören wolle. Die entsprechenden Werte unter den christlichen Befragten lagen niedriger: Neun Prozent zeigten sich offen antisemitisch, 13 Prozent wollten keine homosexuellen Freunde, und 23 Prozent vertraten die Auffassung, dass die Muslime die westliche Kultur zerstören wollen. Gegen alle drei „Fremdgruppen“, wie die Studie sie bezeichnet, hegt etwas mehr als ein Viertel der Muslime Vorbehalte, bei den Christen sind es 1,6 Prozent.

Auch hier liegen die Zahlen für die Muslime in Österreich durchwegs höher als im internationalen Vergleich: 63 Prozent stimmten der Aussage zu, Juden könne man nicht trauen, 69 Prozent wollen keine homosexuellen Freunde und 66 Prozent waren der Meinung, der Westen wolle den Islam zerstören. Die Werte der befragten christlichen Einheimischen in Österreich entsprachen im Wesentlichen den internationalen Durchschnittswerten.

Diesen Punkt sieht auch Religionssoziologe Lehmann als „besorgniserregend“ an, auch wenn er zu bedenken gibt, dass die Studie nur Meinungen und nicht alltägliche Handlungen abbilde. Für Studienautor Koopmans ist der Zusammenhang zwischen „Fremdgruppenfeindlichkeit“ und „Fundamentalismus“ jedenfalls evident: Religiöser Fundamentalismus, heißt es in der Studie, sei „das mit Abstand wichtigste Zeichen für Fremdgruppenfeindlichkeit und erklärt die meisten Differenzen in den Niveaus der Fremdgruppenfeindlichkeit zwischen Muslimen und Christen.“

religion.ORF.at/APA/AFP

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