„In unserer Kindheit war Weihnachten fantastischer“

Weihnachten gilt als Fest der Familie, doch alte Menschen haben daran nicht immer Anteil. Für Bewohner von Altenbetreuungseinrichtungen werden in der Weihnachtszeit verstärkt Begegnungen zwischen Jung und Alt organisiert.

„Unsere Generation weiß noch, dass wir den Geburtstag eines Kindes feiern, das vor 2000 Jahren geboren worden ist - kein Geschenktribunal“, sagt Anna Krispel, 88, Bewohnerin des Hauses Prater im zweiten Bezirk, einer Einrichtung des Kuratoriums Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP). Sie kannte das Haus schon lange, bevor sie einzog. Als Diplomkrankenschwester leitete sie früher die Krankenseelsorge im Haus. Jetzt wohnt sie selbst hier und arbeitet nach wie vor bei der Krankenseelsorge mit.

Ihren Rollator hat sie in einer Ecke des Saals, in dem eine Schulklasse für die Bewohner des Hauses Weihnachtslieder und ein Gedicht an die Zeit zum Besten gibt, hinter einer Tafel geparkt. Von Wünschen an den Weihnachtsstern singen die Kinder, Rudolf das Rentier kommt im Wiener Dialekt zum Einsatz und erfreut das lächelnde und teilweise mitwippende Publikum.

Adventfeier mit Schülern einer vierten Volksschulklasse. Sie singen und zeigen dazu selbstgemalte Bilder

KWP

Die Schüler einer vierten Volksschulklasse auf der Bühne des Hauses Prater

Nach der Vorstellung schwärmen die Kinder einer vierten Volksschulklasse mit kopierten Fragebögen, die sie von ihrer Lehrerin bekommen, zu den Bewohnern aus, um sie zu fragen, wie Weihnachten bei ihnen gewesen ist. „Einen schön geschmückten Baum haben wir gehabt, nicht so groß wie ihr heute, aber ich habe mich gefreut“, erzählt eine 92-jährige Dame, die ihren Namen dann doch nicht preisgeben will. „Früher ist mehr auf den Baum gehängt worden – heute ist es halt zeitgemäßer“, mutmaßt sie.

„Wir waren unschuldiger“

„Die Sterndlwerfer durften nicht fehlen“, sagt sie schwärmerisch, und es habe immer Fisch zu essen gegeben. „Das weiß ich, weil den habe ich nicht mögen“, setzt sie lachend hinzu. Die Frau lebt seit sechs Jahren im Haus Prater und hat dort Freundschaft mit einem männlichen Bewohner geschlossen. „In unserer Kindheit war Weihnachten vielleicht fantastischer als heute“, sagt sie und spielt damit auf den Glauben ans Christkind an. Und: „Wir waren unschuldiger.“ Den 24. Dezember verbringt sie mit ihrer Familie.

Weihnachten im Alters- oder Pensionistenwohnheim muss nicht einsam sein, doch wer die Möglichkeit hat, verbringt den Heiligen Abend mit der Familie. Ob Einrichtungen der Stadt Wien oder christliche, überall werden Weihnachtsfeiern für die Bewohner organisiert. Auch die Adventzeit wird intensiv begangen, mit Auftritten von Kinderchören, hauseigenen Adventmärkten und, wie im katholischen St.-Carolus-Altersheim, auch mit Besinnungstagen und der Möglichkeit zur Krankensalbung.

Begegnung zwischen Jung und Alt

Die Begegnung mit Kindern spielt in den „Hausgemeinschaften Erdbergstraße“ des evangelischen Diakoniewerks Gallneukirchen eine besondere Rolle. Hier würden die Schüler der unter der Hausgemeinschaft liegenden evangelischen Schule der „realen Welt“ im Alter begegnen, sagt Alexander Neuhold, Leiter der „Hausgemeinschaften“. Die Kinder verbringen einen Teil der Nachmittagsbetreuung in dem Pflegeheim, sie schmücken das Haus und haben sogar auch Unterricht hier.

Zu Weihnachten würden etwa fünf der 39 unterschiedlich stark demenzkranken Menschen von Angehörigen abgeholt. Für die anderen gebe es in den drei Wohngruppen eigene Weihnachtsfeiern mit Christbaum, Geschenken und Festessen. Es sei wie eine „Senioren-WG“, wo auch die Verwandten dazukämen, so Neuhold.

Christbaumschmücken mit Jugendlichen in der Hausgemeinschaft Erdberg der Diakonie

Alexander Neuhold

Jugendliche aus dem Gymnasium, das sich im selben Haus befindet, beim weihnachtlichen Schmücken

Neue Kontakte gegen die Einsamkeit

Einsam seien vor allem diejenigen, die so spät – also im Alter von weit über 80, wenn sie zum Teil ihr Zimmer nicht mehr verlassen können – ins Wohnheim kämen, dass sie keine Kontakte mehr knüpfen können, ist Gertrud Bechina, 78, überzeugt. Seit drei Jahren wohnt sie im katholischen St.-Carolus-Altersheim in Wien-Währing. Einsamkeit betreffe die, die sich auch während des Jahres von ihren Familien im Stich gelassen fühlten, ergänzt Schwester Johanna Humer.

Sie ist Schwester der Gemeinschaft Barmherzige Schwestern vom heiligen Karl Borromäus und im St.-Carolus-Altersheim für die Öffentlichkeitsarbeit und die Umsetzung des Leitbildes zuständig. Hier bemühe man sich vor allem, den Sinn des Weihnachtsfestes zu erhalten. Ohne Konsumorientiertheit, auf den Ursprung hin ausgerichtet, so Humer.

Weihnachten ohne „Stille Nacht“

So wird in dem katholischen Haus, in dem bereits seit 1879 alte Menschen betreut werden, etwa auch die Herbergssuche nachempfunden. Neun Tage vor Weihnachten wird eine Marienstatue oder ein Bild von Wohnbereich zu Wohnbereich – das sind hier die Stockwerke – getragen. Damit werde gezeigt, dass Maria und das Jesuskind „bei uns willkommen sind“, so Humer.

Auch im 1995 eröffneten Haus Prater achtet man auf den ursprünglichen Sinn von Weihnachten. Am Heiligen Abend seien etwa 40 Personen bei der Weihnachtsfeier mit Evangelienlesung anwesend, berichtet Krispel – etwas weniger als bei den im Advent wöchentlich abgehaltenen Andachten. Einige Bewohner wollten auch ganz alleine feiern, so Krispel. „Dinge, die zu Herzen gehen, wie das Lied ‚Stille Nacht‘, werden bei den Feiern halt eher vermieden“, ergänzt die 78-jährige Liselotte Schwing, die gemeinsam mit ihrem Mann im Haus Prater wohnt.

Zunehmend religiöse Vielfalt in den Wohnhäusern

Etwa 95 Prozent der 381 Bewohner sind hier Christen, wenngleich man sich auf die zunehmende Diversität der Bewohner einstelle, sagt die Pressesprecherin des KWP, Heike Warmuth. Langsam kämen auch Menschen aus anderen Kulturen und anderen Religionen. Stolz auf die Mitarbeiter aus vielen Nationen ist man sowohl beim KWP als auch im St.-Carolus-Altersheim.

Beim KWP beginnt man die sprachlichen und religiösen Ressourcen der multinationalen Mitarbeiter gezielt zu nutzen, es wurde ein eigenes „Diversion-Management“ eingerichtet. Hier soll das Wissen beispielsweise über Sprachen oder Feste anderer Kulturen und Religionen generiert und in Schulungen weitergegeben werden, so Warmuth.

Weihnachtsmesse in der hauseigenen Kirche des St. Carolas-Altersheims.

Johanna Humer

Weihnachtsmesse in der hauseigenen Kirche im St.-Carolus-Altersheim

Eine muslimische Angestellte habe ihr gesagt, dass auch sie Kreuzzeichen auf die Stirn eines Pflegebedürftigen gebe – er wünsche sich das, und sie habe es sich einfach vom christlichen Pflegepersonal im St.-Carolus-Altersheim abgeschaut, erzählt Humer.

Zu Hause im Altersheim

Der Heilige Abend werde im St.-Carolus-Altersheim sehr stimmungsvoll begangen, erzählt Hummer weiter. Dadurch, dass am 24. Dezember weniger Menschen im Haus sind, sei es noch ruhiger als sonst, denn etwa ein Drittel der derzeit 136 Bewohner werde abgeholt. In jedem Stockwerk werden am Nachmittag kleinere Weihnachtsfeiern abgehalten, wo das Betreuungspersonal den Bewohnern „Frohe Weihnachten“ wünscht.

Um 22.00 Uhr gibt es dann eine gemeinsame Mette, die Bechina besonders wichtig ist. Sie feiert die Bescherung bei ihrer Tochter und ihren drei Enkelkindern „um sieben werd’ ich aber schon nervös, um zur Mette (im St.-Carolus-Altersheim, Anm.) zurechtzukommen“, sagt sie. „Hier ist zu Hause.“

Das letzte Weihnachtsfest

Viele schwerkranke Menschen wollen Weihnachten nicht im Spital, sondern mit ihren Familien zu Hause verbringen. Für sie und ihre Angehörigen gibt es Unterstützung und Betreuung durch das mobile Palliativteam der Caritas Socialis. „Für die meisten unserer Patienten ist klar, dass es das letzte Weihnachten ist“, sagt Constanze Schreier, Mitglied des mobilen Palliativteams. Von ihrer Seite werde versucht, die Familien so zu stützen, dass eine Betreuung zu Hause möglich ist, so Schreier.

Ein 24-Stunden-Bereitschaftsdienst, ein bis zwei Besuche täglich und Gespräche mit den Angehörigen entschärfen dabei die Ängste der Betroffenen. „Ich habe meine Familie da“, sagt Krispel, deren Verwandtschaft im Burgenland lebt, die aber den Heiligen Abend im Haus Prater verbringt.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

Links: