Aslan: Muslime müssen Opferrolle ablegen

Der islamische Religionspädagoge Ednan Aslan ortet bedenkliche Tendenzen unter Österreichs Muslimen: Anstatt sich mit unbequemen Tatsachen auseinanderzusetzen, würde man diese ignorieren und sich in eine Opferrolle begeben.

„Das tut mir weh“, sagt Ednan Aslan angesichts der Ergebnisse jener Studie über Fundamentalismus, die vergangene Woche vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung veröffentlicht wurde. Unter anderem hatten etwa zwei Drittel der befragten österreichischen Musliminnen und Muslime den Aussagen „Juden kann man nicht trauen“ und „Ich will keine homosexuellen Freunde haben“ zugestimmt, mehr als die Hälfte wurden von der Studie als „konsistente Fundamentalisten“ bezeichnet - mehr dazu in Fundamentalismus-Studie: Hohe Werte in Österreich.

Was Aslan schmerzt, sind aber nicht nur die Ergebnisse an sich, sondern vor allem die Reaktionen vieler Muslime darauf. „Das hat mich bewegt, weil ich zum Beispiel auf Facebook oder auf anderen Portalen im Internet merke, dass viele Muslime diese Studie aus einer Opferrolle heraus betrachten, anstatt sich kritisch damit auseinanderzusetzen“, erzählt Aslan gegenüber religion.ORF.at. „Aus dieser Situation heraus kann kein innerislamischer Diskurs entstehen. Opfer und Angreifer – dazwischen haben wir nichts mehr. Das ist beunruhigend.“

Ednan Aslan

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Ednan Aslan ist Leiter der Abteilung Islamische Religionspädagogik am Zentrum für LehrerInnenausbildung der Universität Wien

„Islamophobie“ als Kampfbegriff

Auch hinter dem Begriff „Islamophobie“ verstecke sich dieses Schwarz-Weiß-Schema. „Wenn Sie diesen Begriff auseinandernehmen, dann sehen sie die alten Radikalen, die sich mit neuen Argumenten gegenüber dem Westen zu behaupten versuchen“, so Aslan. Zwar sei Islamophobie in den westlichen Ländern gewiss ein Problem, „aber die, die Islamophobie auf Schildern vor sich hertragen, sind oft die Gleichen, die früher den Westen ohne diesen Begriff bekämpft haben.“ Der Islamophobie-Vorwurf diene als Mittel, sich selbst in die Opferrolle zu manövrieren und damit den Westen zu bekämpfen.

Zwar könne man die Studie aus Deutschland durchaus kritisieren - etwa aufgrund der Anwendung des eigentlich christlich geprägten Begriffs Fundamentalismus auf den Islam -, das sei aber nebensächlich, so Aslan. „Es geht gar nicht um die Frage Fundamentalismus oder nicht, es geht um besorgniserregende Antworten auf einfache Fragen: Was sie von Juden oder von Homosexuellen halten, wie sie den Koran interpretieren und so weiter.“

Wenn man als Muslim die Ergebnisse in Zweifel ziehen wolle, so Aslan, sei man auch aufgefordert, die eigene Haltung auch theologisch zu untermauern. „Das vermisse ich bei uns Muslimen. Wir sagen zwar, das Ergebnis ist falsch, aber wir beantworten nicht die Frage, was denn die muslimische Position eigentlich ist.“

Eine neue Theologie

Für Aslan steht fest: Die muslimischen Gemeinschaften in Europa müssen eine eigene, neue Theologie entwickeln. An der Universität Wien werde das im Zuge der Religionslehrer-Ausbildung versucht, „aber das ist nicht nur eine Aufgabe eines universitären Fachs, sondern eine innergemeinschaftliche Aufgabe. Wenn wir diese Ergebnisse ablehnen, wenn wir sie als falsch betrachten, dann sind alle Muslime gefordert: die Islamische Glaubensgemeinschaft, die Moscheegemeinden, Imame und Seelsorgerinnen etc.“

Vor allem in Bezug auf die Fragen über das Verhältnis der Muslime zu Juden und Homosexuellen ortet Aslan viel Aufholbedarf: „Wir haben im Islam, was die Auseinandersetzung mit diesen Minderheiten betrifft, nach wie vor eine Theologie aus dem zehnten, elften Jahrhundert. Diese Theologie entsprach vielleicht gesellschaftlichen Wirklichkeiten dieser Zeit, aber jetzt müssen wir das neu reflektieren, damit wir in unserem Kontext mit anderen Minderheiten und auch mit der Mehrheitsgesellschaft in Frieden zusammenleben können.“

Islamische Theologie an der Universität?

Ein möglicher Weg zu einer solchen neuen Theologie wäre für Aslan die Verankerung der islamischen Theologie an staatlichen Universitäten in Europa. In Deutschland zum Beispiel wurde dieses Projekt in der jüngeren Vergangenheit realisiert, auch in Österreich wird die Forderung danach immer wieder vorgebracht.

„Wir brauchen eine islamische Theologie an den österreichischen Universitäten, weil wir einfach lernen müssen, Theologie in unserem Kontext zu verstehen und zu deuten“, so Aslan gegenüber religion.ORF.at. „Sonst bleiben wir immer ein Werkzeug bestimmter islamischer Länder, die aus unterschiedlichen Interessen die Religion für uns deuten. Und diese Deutungen werden von uns nur konsumiert.“

Diese neue Theologie müsse gar nicht neu erfunden werden, so Aslan. Anknüpfungspunkte gebe es etwa bei Theologen der muslimischen Herrschaftsgebiete auf der Iberischen Halbinsel im 14. Jahrhundert. „Manche der Diskussionen, die muslimische Gelehrte damals in Andalusien beschäftigt haben, dürfte ich mir heute in Wien in manchen Moscheegemeinden nicht erlauben. Das ist unsere Situation, wir sind heute rückständiger als die Muslime im 14. Jahrhundert in Cordoba.“

Europas Muslime in der Pflicht

Theologische Aufbrüche in Europa seien auch deshalb enorm wichtig, weil man Derartiges in islamischen Ländern kaum erwarten könne. „Weder in der Türkei noch in irgendeinem anderen islamischen Land haben die Theologen die Freiheiten, die wir in Europa haben“, so Aslan. "Diese Freiheit verpflichte die europäischen Muslime auch, an einer neuen Theologie zu arbeiten.

Doch Aslan geht sogar noch weiter. Für ihn ist eine eigene, in Europa entwickelte islamische Theologie für die Religion überlebenswichtig. „Ich möchte wirklich nicht überheblich sein, aber wenn uns in Europa keine neue Theologie gelingt, dann wird es in den islamischen Ländern erst recht nicht gelingen. Wir müssen uns diesen Herausforderungen stellen. Wenn uns das nicht gelingt, dann wird der Islam in Europa keine Zukunft haben.“

Michael Weiß, religion.ORF.at