Alle Jahre wieder: Priester kreativ gefordert

Während andere die Feiertage im Kreis der Familie verbringen und das Jahr erholsam ausklingen lassen, durchlebt eine Berufsgruppe die intensivste Zeit des Jahres: Priester sind zu Weihnachten zeitlich und kreativ enorm gefordert.

Für die meisten Menschen liegt Weihnachten heuer ideal: Die Feiertage fallen in die Wochenmitte, das Ergebnis sind viele arbeitsfreie Tage und eine schöne, erholsame Zeit. Für Priester allerdings kommen zu den normalen Sonntagsgottesdiensten etliche weitere Festgottesdienste, Krippenspiele, Andachten für Obdachlose und Alleinstehende und sonstige Anlässe dazu, bei denen die Gläubigen von ihnen gescheite Worte erwarten.

Das Ergebnis ist eine große zeitliche und auch kreative Beanspruchung. Weihnachten ist - rein liturgisch betrachtet - Jahr für Jahr gleich. Ein Priester, der jedes Jahr die gleiche Predigt von einem Zettel abliest, wird aber nicht unbedingt auf Begeisterung bei seinen Schäfchen stoßen. Ist also Weihnachten jene Zeit, in der Priester am meisten gefordert sind? Welche Wege gibt es, um kreativ zu bleiben? Und inwiefern hat der Papst Recht, wenn er schreibt, bei der Predigt würden oft sowohl die Zuhörenden als auch die Predigenden leiden? religion.ORF.at hat sich bei Priestern, einem Bischof und einem Theologen umgehört.

„Eine der schwierigsten Aufgaben“

„Ich halte es für eine der schwierigsten Aufgaben für Prediger und gerade für Pfarrer, die schon längere Zeit am gleichen Ort tätig sind, zu wiederkehrenden Ereignissen immer wieder neue Zugänge zu finden“, sagt Johann Pock, Leiter des Instituts für Pastoraltheologie an der Universität Wien. „Man hat zu jeder Bibelstelle vielleicht zwei oder drei gute Gedanken, aber eben jedes Jahr dasselbe Evangelium und immer dieselben Schrifttexte.“

Zu der enormen zeitlichen Belastung - viele Priester müssen in der Weihnachtszeit zehn oder mehr Predigten halten - kommt also eine kreative hinzu. Die Priester müssen in extrem kurzer Zeit viele Termine absolvieren und sich gleichzeitig auf die nächsten vorbereiten.

Hermann Glettler

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Hermann Glettler

Ungewohntes Publikum

Hermann Glettler ist Pfarrer des Pfarrverbands St. Andrä in Graz und damit zuständig für drei Pfarren. Im vergangenen Sommer hat er den erstmals vergebenen Predigtpreis der Diözese Graz-Seckau gewonnen - er weiß also, wovon er spricht. Für Glettler sind die Weihnachtsgottesdienste vor allem deshalb besonders wichtig, „weil hier Menschen zur Kirche kommen, die sonst eher den Bezug zum Gottesdienst verloren haben“.

Die Weihnachtspredigt ist für ihn eine „schöne Herausforderung“. Es sei wichtig, auch kirchenfernen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie willkommen sind. „Es darf kein frommes Gewäsch sein und auch nicht zu kompliziert. Auf keinen Fall darf sich in die Worte des Priesters ein Vorwurf an die seltenen Kirchenbesucher einmengen.“

Sieben Gottesdienste in drei Tagen

Glettler feiert heuer allein von 24. bis 26. Dezember sieben Gottesdienste. Die zwei oder drei Stunden, die er normalerweise in die Vorbereitung einer Predigt investiert, stehen in diesen Tagen einfach nicht zur Verfügung. Früher, als Kaplan, erzählt er, habe er sich vor den Feiertagen für ein paar Tage zurückgezogen, um sich vorzubereiten. Heute ist er Pfarrer und kann sich nur noch „einen knappen Tag eine Auszeit gönnen, um innerlich gut aufgestellt in die Festtage hineinzugehen“.

An sich selbst stellt Glettler hohe Ansprüche: „Eine Predigt ist nicht ein eloquent vorgetragenes Sammelsurium von Lebensweisheiten und Bibelsprüchen“, erklärt er, „sondern eine Rede, deren Inhalt mit dem Leben abgeglichen und von diesem durchtränkt sein muss“. Predigten seien stets in Gefahr, nur rhetorische Figuren zu sein, die innerhalb des Gottesdienstes funktionieren.

Begegnungen als Ressource

Auch der Bischof der Diözese Innsbruck, Manfred Scheuer, kennt die kreative Herausforderung der Weihnachtszeit. Als Oberhirte einer Diözese kommen zu den Gottesdiensten noch weitere Termine dazu, bei denen sein Wort - und das noch möglichst gescheit und originell - gefordert ist.

Für Bischof Scheuer sind vor allem die persönlichen Begegnungen mit Menschen wichtige Inspirationsquellen - sei es bei Gottesdiensten für Obdachlose oder Menschen mit Behinderung, bei Besuchen in Altersheimen oder Krippenandachten mit Kindern. Seine Ansprachen, gerade zu Weichnachten, entwickelten sich über einen längeren Zeitraum, erzählt er gegenüber religion.ORF.at. „Für die konkrete Vorbereitung bleibt leider meist wenig Zeit.“

Toni Faber mit Bibel im Stephansdom

APA/Hans Klaus Techt

Dompfarrer Toni Faber. Die Mitternachtsmette im Wiener Stephansdom ist für ihn die „herausragende Predigt des Jahres“

Große Erwartungen

Ähnlich geht es jenem Mann, der heuer die Predigt beim wohl bestbesuchten Gottesdienst des Jahres halten wird: 5.000 Menschen erwartet Dompfarrer Toni Faber zur Mitternachtsmette im Wiener Stepahnsdom - für ihn „die herausragende Predigt des Jahres“. Auch nach Jahren sei es für ihn noch etwas Besonderes, wenn er vor so vielen Menschen sprechen dürfe, so Faber. Die Erwartungshaltung der Menschen sei größer als sonst.

Die große Herausforderung der Weihnachtspredigt besteht für Faber darin, „ein Bild, ein Erlebnis, eine Geschichte zu finden, bei der ich mir sicher bin: Da passen sie mir auf.“ Die Predigt müsse etwas „emotional Ergreifendes“ haben, um die Menschen, die zuvor schon vor dem Dom anstehen mussten und um 24 Uhr mitunter schon einiges gegessen oder getrunken hatten, bei der Stange zu halten. „Das ist ein besserer Zugang als reine Dogmatik – die versuche ich zu vermeiden, gerade zu Weihnachten.“

Ein trauriger Papst

Glettler, Scheuer und Faber haben Wege gefunden, mit wiederkehrenden Festen und der damit verbundenen Aufgabe umzugehen. Doch nicht allen Priestern dürfte das gelingen - zumindest wenn man jüngsten Ausführungen von höchster Stelle, aus Rom, glauben darf. Mehrere Seiten in seinem Lehrschreiben „Evangelii Gaudium“ widmet der Papst dem Predigtdienst und der Vorbereitung dazu. Es ist ein flammender Appell für mehr Authentizität und Kreativität in der Verkündigung.

Es gebe viele Beschwerden über Predigten katholischer Priester, heißt es dort etwa. „In der Tat wissen wir, dass die Gläubigen ihr (der Predigt, Anm.) große Bedeutung beimessen; und sie, wie die geweihten Amtsträger selbst, leiden oft, die einen beim Zuhören, die anderen beim Predigen. Es ist traurig, dass es so ist.“ Er bitte die Priester, sich mehr Zeit für die Vorbereitung zu nehmen und kreativ zu sein, schreibt der Papst, selbst wenn dadurch weniger Zeit für andere wichtige Dinge bleibt. „Ein Prediger, der sich nicht vorbereitet, ist nicht ‚geistlich‘, er ist unredlich und verantwortungslos gegenüber den Gaben, die er empfangen hat.“

Johann Pock

ORF/Marcus Marschalek

Johann Pock

„Spirituell ausgeblutete“ Prediger

Johann Pock, der auch in der Predigtausbildung für junge Priester in Wien tätig ist, teilt den Befund des Papstes - auch in Bezug auf die österreichische Priesterschaft. Predigten seien eigentlich dazu da, die Menschen für den Glauben zu begeistern, sagt er gegenüber religion.ORF.at. Das geschehe aber oft nicht - aus verschiedenen Gründen, unter anderem „weil manche Prediger spirituell ausgeblutet sind, nicht mehr diese Ideen haben und sich auch nicht mehr die Zeit gönnen, die dafür nötig wäre“.

Darüber hinaus gebe es ein strukturelles Problem, denn man könne Priester nach ihren ersten drei Dienstjahren nicht zu Fortbildungen zwingen, so Pock. „Das ist etwas, das ich seit vielen Jahren hier in Österreich bei den Bischöfen anzuregen versuche, dass man Predigtfortbildungen anbietet“, erklärt der Theologe. „Viele Bischöfe jammern immer wieder, dass so schlecht gepredigt wird, aber es macht keiner ein Programm dafür. Das ist schade.“

Kein Urheberrecht auf Gottes Wort

Und noch ein weiteres Problem kommt dazu: Im Internet mehren sich die Angebote an Predigtdatenbanken. Für den geneigten schreibfaulen oder unkreativen Priester ist die geeignete Sonntags-, Hochzeits- oder eben Weihnachtspredigt nur einen Klick entfernt. Urheberrechte spielen angesichts der Tatsache, dass es sich bei Predigten um die Verkündigung des Worts Gottes handelt, keine Rolle. Im Gegenteil: Immer wieder haben große Predigttheoretiker darauf hingewiesen, ein unbegabter Prediger solle lieber gut kopieren als schlecht selbst zu schreiben.

Auch Johann Pock bestätigt: Teile aus Predigten anderer zu kopieren, das sei gang und gäbe und werde auch nicht als verwerflich angesehen. Auch das Vortragen einer gesamten fremden Predigt sei grundsätzlich nicht verboten, allerdings, so Pock, sei in diesem Fall ein Hinweis auf denjenigen, dessen Gedanken man sich ausgeliehen hat, durchaus angebracht. Durch einschlägige Angebote im Internet bestehe aber sehr wohl die Versuchung, den Versuch, sich selbst Gedanken zu machen, zu schnell aufzugeben und stattdessen auf Vorgefertigtes zurückzugreifen.

Bischof Manfred Scheuer

Diözese Innsbruck/Aichner

Bischof Manfred Scheuer bei der Christmette 2012

„Sonst könnte man ja auch eine CD auflegen“

Für Bischof Scheuer, Pfarrer Glettler und Dompfarrer Faber ist das jedenfalls nur bedingt eine Option, wie sie gegenüber religion.ORF.at beteuern. Alle drei lassen sich gern von den Ideen anderer inspirieren, eine gänzlich fremde Predigt zu halten können sie sich aber nicht vorstellen.

„Ich könnte mir nicht denken, dass mir jemand abnimmt, dass das auch meins ist“, sagt etwa Dompfarrer Faber, das gesprochene, wenn auch manchmal unrunde Wort in seiner Authentizität sei ihm das Wichtigste. Auch Pfarrer Glettler meint, schon als junger Priester habe er sich vorgenommen, „lieber ‚ärmlicher‘ etwas mir Wichtiges zu sagen als eine Fülle von Gedanken vorzutragen, die nicht durch meine eigene geistliche Wahrnehmung hindurch gegangen sind“. Und auch Bischof Scheuer stößt ins gleiche Horn, wenn er sagt: „Es ist wichtig, dass man das auch durch sich durchgehen lässt, es sich zu Eigen macht. Sonst könnte man ja auch einfach eine CD auflegen.“

Michael Weiß, religion.ORF.at