Vatikan-Umfrage: Lehre und Leben driften auseinander

Der Familienbegriff der römisch-katholischen Kirche dürfte sich erheblich von jenem ihrer Mitglieder unterscheiden. Das zeigen die Auswertungen des vatikanischen Familienfragebogens in Österreich.

Vor allem in den Punkten Empfängnisregelung und wiederverheiratete Geschiedene orten Österreichs Diözesen eine Diskrepanz zwischen Lehre und Leben. Auch homosexuelle Partnerschaften werden von den Gläubigen offenbar längst akzeptiert. In vielen Antworten werde zudem der Wunsch nach einer Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre artikuliert. Deutlich werde auch, dass es der Kirche kaum gelinge, ihre Lehre zu Ehe, Familie und Sexualmoral verständlich zu vermitteln, berichtete Kathpress. Kirchliche Aussagen seien von einer lebensfremden Sprache gekennzeichnet, so der Grundtenor vieler Antworten.

Ehe und Familie nach wie vor hohe Werte

Gleichzeitig seien Liebe und Treue, Ehe und Familie für die heimischen Katholikinnen und Katholiken grundsätzlich nach wie vor hohe, anzustrebende Werte, so die kirchliche Analyse. Religion habe in Beziehungen und Familien einen sehr hohen Stellenwert, was sich beispielsweise in einer sehr hohen Zustimmung zur christlichen Erziehung der Kinder ausdrücke.

Pfarrer mit Hostie und Kelch vor leerer Kirche

APA/Hans Klaus Techt

Glaubt man den Antworten auf den Vatikan-Fragebogen, dann predigt die Kirche oftmals ins Leere

Insgesamt füllten laut Kathpress mehr als 34.000 Menschen den Fragebogen aus, der vom Vatikan als Vorbereitung einer Sonderbischofssynode zum Thema Familie im Herbst veröffentlicht wurde. Die Beteiligung in den einzelnen Diözesen schwankte allerdings stark. So kamen aus der Diözese Graz-Seckau rund 14.000 Antworten, aus der Diözese St. Pölten rund 150. Grund dafür dürfte sein, dass einige Diözesen einen vereinfachten Fragebogen online stellten und auf unterschiedlichen Wegen verbreiteten. Andere begnügten sich mit dem Originaldokument.

Viele „Gruppenantworten“

In der Erzdiözese Wien gab es zumindest die Möglichkeit, den Originalfragebogen auch online zu beantworten, was in rund 8.000 Antworten resultierte. Auch ganze Gemeinschaften, etwa Orden und Pfarrgemeinderäte, konnten via „Gruppenfragebogen“ antworten, was österreichweit ausgiebig in Anspruch genommen worden sei, berichteten die Diözesen. Die Rückmeldungen seien „äußerst vielfältig“, heißt es. Analysiert worden seien diese von Theologen und weiteren Experten.

„Die Diskrepanz zwischen der offiziellen Lehre und den Ansichten vieler Gläubigen ist groß“, hieß es nach der Analyse in einer Aussendung der Erzdiözese Wien. Das bestätigen auch erste Ergebnisse der Grazer Auswertung: So gaben 68 Prozent an, „teilweise“ nach der Lehre der Kirche zu leben, nur 21 Prozent tun das „ganz“. Dennoch wollen 89 Prozent den katholischen Glauben an ihre Kinder weitergeben.

Pikante Antworten zu „heißen Eisen“

Sprengstoff könnten jedoch die Antworten zu „heißen Eisen“ sein. In der Diözese Graz-Seckau befürworteten beispielsweise 96 Prozent die Weitergabe von Sakramenten für wiederverheiratete Geschiedene. 71 Prozent teilen die „ablehnende Einstellung der katholischen Kirche gegenüber gleichgeschlechtlichen eingetragenen Partnerschaften“ nicht. Und 95 Prozent finden, die Kirche sollte die Verwendung von hormonellen Methoden der Empfängnisverhütung und Kondomen akzeptieren.

In der Diözese Innsbruck, die wie Graz einen vereinfachten Fragebogen online gestellt hatte, gingen 5.092 Erhebungsbögen ein. Das dortige Resümee laut Aussendung: „Die größte Diskrepanz zwischen Lehre und Wirklichkeit zeigt sich in Fragen der Empfängnisregelung, des Umgangs mit Menschen in zweiter Ehe und in der Bewertung der Homosexualität, wobei sich hier in der Bewertung deutlich ein Altersunterschied feststellen lässt.“

Abgehobenheit und Realitätsferne

In der Diözese Linz gingen insgesamt rund 1.200 Rückmeldungen auf die vatikanische Umfrage ein. Der österreichweite Trend spiegelt sich auch in Oberösterreich wider. Die Menschen beklagten die Abgehobenheit und Realitätsferne der kirchlichen Lehre von den menschlichen Problemen und von der Wirklichkeit des Beziehungsalltags, so Josef Lugmayr von der Abteilung „Ehe und Familie“ der Diözese Linz bei einer Pressekonferenz am Dienstag.

Die Kirche zeichne ein unrealistisches Idealbild von Familie, das in einigen Punkten zwar angestrebt werden kann (z. B. Treue, Gleichwertigkeit der Partner, Wert des Kindes in der Familie), in anderen aber überzogen und nicht zeitgemäß ist (z. B. Verbot künstlicher Empfängnisverhütung, Verbot vorehelicher Geschlechtsverkehr, Homosexualität).

Gläubige liberaler als Kirche

Auch in den anderen Diözesen zeigen sich die Katholiken liberaler als die Kirchenlehre: In Kärnten - 1.700 Gläubige der Diözese Gurk-Klagenfurt nahmen teil - gaben fast vier Fünftel (78 Prozent) der Befragten an, die ablehnende Haltung der Kirche gegenüber gleichgeschlechtlichen eingetragenen Partnerschaften nicht zu teilen. Ebenso sind die Gläubigen dafür, dass Rom seine Einstellung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen überdenkt. 96 Prozent sprechen sich gegen einen Ausschluss von der Kommunion aus.

Schlusslicht bei den Rückmeldungen ist mit 156 Antworten die Diözese St. Pölten, die Familienbischof Klaus Küng leitet. Nur wenige niederösterreichische Katholiken haben eine genaue Kenntnis von der Kirchenlehre zu Ehe und der natürlichen Empfängnisregelung. Von vielen werde „die komplizierte und dadurch schwer verständliche Formulierung“ als Grund dafür angegeben. Große Unterschiede in der Handhabung der Kirchenregeln wurden kritisiert.

Apostelgeschichte 2010: Kardinal Christoph Schönborn im Gespräch mit Wiener Katholikinnen und Katholiken.

Erzdiözese Wien/Apostelgeschichte2010

Kardinal Christoph Schönborn sieht in den Antworten auf die Familienumfrage „Schmerz und Hoffnung“

Schönborn: „Schmerz und Hoffnung“

„Ich nehme Schmerz und Hoffnung wahr“, meinte Kardinal Christoph Schönborn in einer ersten Stellungnahme via Kathpress: „Es bewegt mich sehr, dass so viele Menschen geantwortet haben, auch wenn oft vehemente Kritik an der Kirche geübt wird.“ In der Ernsthaftigkeit der Antworten zeige sich eine Verbindung von kritischem Geist und tiefer Sorge für die Zukunft der Familien und der von familiären Problemen betroffenen Menschen.

Auch der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer zeigte sich beeindruckt von der hohen Beteiligung an der Umfrage. Die zahlreichen Rückmeldungen zeigten, wie wichtig Ehe und Familie für viele Menschen seien. Zugleich werde deutlich, wie individuell und vielfältig Beziehungen heute gelebt werden.

39 Fragen an die Weltkirche

Der Vatikan hatte am 5. November 2013 zur Vorbereitung auf die Bischofssynode im Oktober 2014 einen Fragenkatalog zum Thema Familie, Ehe und Sexualität an die Ortskirchen aller Länder der Welt versandt. Die 39 Fragen richteten sich zunächst an die Bischöfe, diese wurden aber aufgefordert, die Fragen an die Kirchenbasis weiterzugeben. In der Folge luden alle österreichischen Diözesen die Gläubigen dazu ein, ihre Antworten zum Fragenbogen via E-Mail und Internet oder in Papierform einzusenden.

Neben den österreichischen Diözesen hatten auch die Katholische Aktion sowie die Reformorganisationen „Wir sind Kirche“ und „Laieninitiative“ Umfragen durchgeführt, die auf dem Vatikan-Fragebogen basieren - mehr dazu in Geschiedene: Viele für anderen Umgang in Kirche und Fragebögen: Kluft zwischen katholischer Lehre und Praxis.

„Alles wird 1:1 weitergegeben“

Die Antworten auf diese beiden „extern“ durchgeführten Umfragen sind in den 34.000 Antworten, die die Diözesen nun analysiert haben, noch nicht enthalten. Österreichs Bischöfe werden bei ihrem Ad-limina-Besuch (27. bis 31. Jänner) im Vatikan alle Antworten an das Generalsekretariat der Bischofssynode übergeben und Papst Franziskus persönlich über das Ergebnis informieren. Kardinal Schönborn: „Alles wird 1:1 weitergegeben.“

Inhaltliche Orientierungen erwartet Schönborn erst bei der ordentlichen Bischofssynode 2015: „Wir werden auf die Frage antworten müssen, wie im 21. Jahrhundert Ehe und Familie gut gelebt werden können sowohl im Hören auf das Evangelium als auch auf das, was wir in unseren Beziehungen konkret erfahren und erhoffen.“

KAP/APA/religion.ORF.at

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