Papst Pius XI. und der Austrofaschismus

Dem Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber zufolge legen neue vatikanische Quellen die verhängnisvollen kurialen Fehleinschätzungen zur Situation in Österreich rund um die Februar-Aufstände von 1934 offen.

Was heute kaum noch vorstellbar ist, sollte vor 80 Jahren die Entwicklung der österreichischen Geschichte entscheidend beeinflussen: die enge Verwebung von Staat und Kirche und der damit einhergehende Einfluss Papst Pius’ XI. auf die Niederschlagung der sozialdemokratischen Aufstände im Februar 1934 und den anschließenden Aufbau eines faschistisch geprägten Ständestaats.

Papst Pius XI.

gemeinfrei / Pol.Wissensch. Verlag Berlin

Papst Pius XI.

Neue vatikanische Quellen machen das Mosaik an Kommunikationsflüssen, Memoranden und Nuntiaturberichten nun um einige Aspekte reicher, wie der Wiener Kirchenhistoriker und Leiter des Forschungsprojekts „Pius XI. und Österreich“, Rupert Klieber, in einem Kathpress vorliegenden Dossier unterstreicht.

„Parteinahme des Vatikans eindeutig“

Diese Quellen lassen erkennen, dass die vatikanische „Parteinahme“ für eine Niederschlagung der sozialdemokratischen Aufstände und in der Folge für die Pläne des Regimes Dollfuß „sehr nachhaltig und eindeutig“ war, so Klieber. Die politischen Ambitionen reichten demnach so weit, zur Bannung der „roten Gefahr“ sogar vor einer „weitreichenden Kooperation mit dem faschistischen Italien“ nicht zurückzuschrecken.

Damit habe der Vatikan „aktiv eine Politik gefördert“, die politisch, moralisch und pastoral „ein schwerer Fehler“ gewesen sei, so der Kirchenhistoriker. Hintergrund für die fatale Fehleinschätzung seitens des Heiligen Stuhls sei ein „sehr reduzierter Blick auf das Geschehen in Österreich“ gewesen. So zeugten die Nuntiaturberichte und Expertisen einzig von der Beschreibung eines angeblichen „Kulturkampfes um Wien“ und einem Niedergang traditioneller - katholischer - Werte und Überzeugungen.

Pius XI.: „Härte, die zur Barmherzigkeit wird“

In den Bereichen Ehe, Schule und Jugendarbeit wertete man das sozialdemokratische Engagement als Angriff auf kirchliche Überzeugungen und als ernsthafte Gefahr. So kommentierte laut neuesten Quellen Pius XI. nur wenige Tage nach der blutigen Niederschlagung der Aufstände das militärische Vorgehen als „heilsame Härte“. „Es gibt eine Härte, die zur Barmherzigkeit wird“, heißt es dazu in einer Gesprächsnotiz.

Ein Tiefpunkt an „Betriebsblindheit“ wurde laut Klieber schließlich mit einem Brief des Apostolischen Nuntius in Wien, Enrico Sibilia, an das vatikanische Staatssekretariat erreicht. Darin spricht Sibilia im Blick auf die Niederschlagung der Aufstände in Wien von einem „besonderen Zeichen der Güte Gottes“: „Mich freut es in tiefster Seele vor allem, das Rathaus von der wahren Tyrannei der Roten befreit zu sehen, war es doch über die Volksschulen die größte Produktionsmaschine von Kriminellen. Aus jenen sind die roten Direktoren nun verjagt und durch beste Katholiken ersetzt worden.“

Kanzler Engelbert Dollfuß

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Bundeskanzler Engelbert Dollfuß

Ein „pastorales Desaster“ habe diese Einschätzung u. a. auch deswegen dargestellt, weil in Folge beträchtliche Teile der österreichischen Bevölkerung zu „Heimatlosen im eigenen Land“ wurden - schließlich hatten die Wiener bei der Landtagswahl 1932 noch zu 60 Prozent sozialdemokratisch gewählt. „Die allermeisten dieser Wähler waren zumindest nominell katholisch und wurden durch die Vorgänge unweigerlich und nachhaltig verprellt“, so Klieber.

Beginn der Februarkämpfe 1934 als „Papstfest“

Dass das die geschlossenen kirchlich-staatlichen Reihen nicht anfocht, wurde allein schon durch ein denkwürdiges „Te Deum“ am 12. Februar 1934 - dem Beginn der Februarkämpfe, die dem damaligen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß den Weg zur Errichtung des austrofaschistischen Ständestaats ebneten, im Wiener Stephansdom sichtbar: Der Tag wurde auf päpstlichens Geheiß hin in der ganzen katholischen Welt als „Papstfest“ begangen. An dem Gottesdienst mit Erzbischof Theodor Innitzer nahmen auch Bundespräsident Wilhelm Miklas und Dollfuß sowie zahlreiche Minister und hohe staatliche Vertreter teil.

Der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber

Privat

Rupert Klieber

Pius XI.: Änderung der Verfassung dient „höherem Wohl“

Bereits vor den folgenden dramatischen Aufständen hatte Miklas Pius XI. im Dezember 1933 ins Vertrauen gezogen und ihn um Rat gefragt im Blick auf den politischen Weg, den Österreich nach der Selbstausschaltung des Parlaments im März 1933 einschlagen sollte.

Pius’ Antwort war ebenso eindeutig wie folgenschwer: „Die Änderungen, die man an der Verfassung vorzunehmen im Begriffe steht, dienen offensichtlich dem höheren Wohle des Landes. Indem der Herr Bundespräsident sie gutheißt, hält er sich also wenn auch nicht an den Buchstaben, so doch an den Geist seines Amtseides und gibt ihm eine höhere Erfüllung.“ Der Weg in das Experiment eines katholisch-autoritären Staates - auch bekannt als Austrofaschismus -, das von 1934 bis 1938 dauern sollte, war geebnet.

Späte Erkenntnis über das NS-Regime

Exakt fünf Jahre später - am 10. Februar 1939 - starb Pius XI. Die anfängliche Unter- und Fehleinschätzung der Gefahr durch die Nationalsozialisten war inzwischen einer klareren Sicht auf das verbrecherische NS-Regime gewichen. Seine Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von 1937 sollte zur bis dato schärfsten kirchlichen Verurteilung des NS-Unrechtsregimes werden. Pius geißelte den Antisemitismus („In einem geistlichen Sinn sind wir alle Semiten“) und schloss sich 1938 - nur wenige Monate vor seinem Tod - den Protesten gegen die November-Pogrome an.

Das Forschungsprojekt „Pius XI. und Österreich“ wurde vor fünf Jahren - im Jänner 2009 - gestartet. Durch Workshops, Forschungsseminare und die Vermittlung von Rom-Stipendien der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) konnten in dieser Zeit bereits zahlreiche beachtliche neue Forschungsergebnisse zusammengetragen werden. Das Forschungsprojekt, das unter anderem mit dem vom Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf koordinierten internationalen „Forschungsnetzwerk Pius XI.“ kooperiert, basiert auf der Öffnung der vatikanischen Archive zum Pontifikat Pius’ XI. im Jahr 2006.

religion.ORF.at/KAP

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