Studie: Einblicke in muslimische Alltagsreligiosität

Eine neue Langzeitstudie des Instituts für Islamische Studien der Universität Wien gewährt tiefe Einblicke in die Alltagsreligiosität der österreichischen Muslime und zeichnet dabei ein sehr heterogenes Bild.

In 70 qualitativen Leitfadeninterviews, die laut Forschungsbericht die Zusammensetzung der muslimischen Bevölkerung Österreichs abbilden, haben die Forscher rund um Institutsleiter Ednan Aslan fünf Haupttendenzen im täglichen Umgang mit Religion identifiziert: (1) Distanzierung und Abwendung von Religion, (2) ein säkularisierter Umgang mit Religion, (3) religiöse Emanzipation, und (4) ein pragmatischer Umgang mit Religion sowie (5) der Rückzug in die Religion.

Außerdem orten die Studienautoren drei Querschnittsphänomene, die sich durch alle diese Typengruppen ziehen: „Transkulturelle Orientierung“ (zum Beispiel bewusste weltoffene Haltung, Feiern nicht-muslimischer Feste), „Virtualisierung von Religion“ (hohe Bedeutung von Online-Aktivitäten für die religiöse Praxis), und „Religiöse Professionalisierung“ (Gründung von islamischen Institutionen, zum Beispiel Kinderbetreuungseinrichtungen, in Österreich).

Junge Muslima geht an Moschee in Wien-Favoriten vorbei

APA/Helmut Fohringer

Die Alltagspraxis der Muslime in Österreich ist, so die neue Studie, keineswegs automatisch mit Kopftuch, Gebet und Moschee verbunden

Welche Prozentsätze der österreichischen Musliminnen und Muslime den fünf Typen der Alltagsreligiosität und den drei Querschnittsphänomenen zuzuordnen sind, vermag die Studie zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht festzustellen - quantitative Erhebungen sind für das Jahr 2014 geplant. Grundsätzlich wolle man mit der Studie dem medial vermittelten Bild einer homogenen muslimischen Bevölkerungsgruppe entgegentreten, heißt es in dem Bericht. Darüber hinaus seien die genannten Haupttendenzen keineswegs gegenseitig exklusiv, es sei also durchaus möglich, dass in einem Interview mehrere der Tendenzen zum Vorschein kommen.

Muslime außerhalb der Institutionen im Blickfeld

„Die Besonderheit der vorliegenden Studie besteht darin, dass der Fokus der Untersuchung nicht – wie bisher üblich – auf islamischen Organisationen, Moscheegemeinden oder religiösen Einrichtungen liegt“, erklärt Aslan in einer Presseaussendung der Universität Wien. „Stattdessen rückt die alltägliche Glaubenspraxis jenseits islamischer Institutionen ins Blickfeld.“ Die Gruppe jener Musliminnen und Muslime, die selten oder überhaupt nie eine Moschee besuchten, wird in Bezug auf andere Studien mit 80 bis 85 Prozent beziffert.

„Das religiöse Alltagsleben von Musliminnen und Muslimen in Österreich ist facettenreicher und vielfältiger als weithin angenommen“, heißt es in der Aussendung. Dass es sich bei der muslimischen Bevölkerung in Österreich um eine homogene Gruppe mit durchwegs einheitlicher Glaubenspraxis handeln würde, erweise sich als Klischee. Vielmehr orientiere sich die religiöse Alltagspraxis keineswegs strikt an den religiösen Pflichten des Islams, sondern weiche davon auch durchaus ab.

Der vorliegende Bericht ist eigentlich ein Zwischenbericht zu dem Projekt „Muslimische Milieus in Österreich“, das im Jahr 2012 begonnen hat und spätestens 2015 mit einer umfassenden Buchpublikation abgeschlossen werden soll. Für das Jahr 2014 sind quantitative Umfragen geplant, die die bisher gewonnenen Ergebnisse unterstützen sollen.

religion.ORF.at

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